Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
Vom Netzwerk:
der mitternächtlichen Straßen erhoben sich Tische aus lebendem Holz, mächtige Türme aus Glas und Stein standen zwischen Miniaturgebirgen auf Prachtstraßen, die im kühlen Morgenlicht mit geschäftlichem Verkehr verstopft waren, ein Tanzpavillon im Zwielicht neben einem kühlen Wasserfall, in dem nackte Gestalten schwerelos in der Luft eine erotische Pavane aufführten, eine Oase in greller Mittagssonne unter der Schwerkraft eines großen Planeten, Promenaden mit Tavernen und Speiserestaurants auf weitgespannten Brücken über wilden Katarakten, Cafes hoch in den Ästen der Bäume, Freiluftartisten auf smaragdgrünen Wiesen im Zentrum weiter Plätze, Gebäude in der Form von Bergen auf Felseninseln in klaren, blauen Seen, die wiederum in Canyonklippen eingelassen waren, und alle Sorten und Größen von Bäumen, Flüssen, Wasserfällen, girlandengeschmückte Türme und Pavillons…
    Durch all dies wanderte ich wie ein zielloses, der Brownschen Bewegung unterworfenes Molekül, und vraiment, der Zufall beschränkte sich nicht auf die Geographie, denn Mittag und Mitternacht, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, der Wechsel der Jahreszeiten, waren ebenso von Launen der jeweiligen Gegend abhängig wie das Gewicht meines Körpers, das von Augenblick zu Augenblick, von Bereich zu Bereich entweder schwer zu Boden gedrückt wurde oder leicht war wie ein Moussa in den Baumwipfeln meiner Heimat, völlig gewichtslos oder jeden Zwischenzustand einnahm. Ebenso wechselten Geruch, Duft und Aroma und vraiment, Gestank, die verführerisch, quälend, hinreißend und ekelhaft in meine Nase drangen, ohne daß eine ursächliche Verbindung zu ihren vermeintlichen Quellen auszumachen war. Aus einem Speiseraum wehte Blumenduft, ein Blumenstrauß roch nach Gebratenem, ein wundervoller Garten stank nach Verfall, Gebäude aus Glas und Stahl rochen nach Gebirgsschlucht.
    Auch die Aktivitäten, zivilisierte oder andere, die sich in dieser chaotischen Umgebung abspielten, waren so kompliziert und fremdartig, daß sie selbst einer gebildeten Bürgerin von Nouvelle Orlean weitgehend unverständlich blieben. Ich konnte ein Restaurant kaum von einem Vergnügungspalast unterscheiden, denn alle Arten von Geschäften in jedem architektonischen Stil schienen sowohl Speisen als auch zum Beispiel tantrische Vorstellungen anzubieten – oder Kleidung, Schmuck, Maschinen und Kunstgegenstände. Besuchte die aufgeregt gestikulierende Menge in einer Glaskuppel eine Theatervorstellung, war es ein Irrenhaus, oder ließ die Anzeigetafel vermuten, daß es sich um eine Börse handelte?
    Jeder Edojin, der in dem farbenfrohen Gewimmel der planetenweiten Stadt zu sehen war, schien fest entschlossen, alle anderen auszustechen mit seiner ausgefallenen Kleidung, seiner eigenwilligen Hautfarbe und Frisur, mit der Lebhaftigkeit seiner Gesten und der allgemeinen Haltung, tief Luft zu holen und hochgestochener Selbstbespiegelung nachzugehen. Die Sprache der Edojin schien eine Mischung der exotischsten, unverständlichsten Lingos zu sein, die ich je gehört hatte, und alle außer mir – so glaubte ich jedenfalls – schienen eifrig Geschäften von kosmischer Bedeutung oder barocker Dekadenz oder beidem nachzugehen, die mein ausländisches Begriffsvermögen weit überstiegen.
    Mein Bewußtseinszustand, als ich in diesen ersten Stunden herumwanderte, war kaum von jenem zu unterscheiden, der durch die Einnahme psychedelischer Drogen hervorgerufen wurde. Und so befreite auch hier der Verlust sequentieller Erfahrung und linearer Logik – der organisierenden Prinzipien meines psychischen Lebens – jenes höhere und doch primitivere Wesen, das egolos mit dem Fluß dessen, was ist, verschmilzt, nicht mehr ist und nicht weniger als das Jetzt, das Gleiten durch Realitäten, genau wie der vollkommene Sänger zu seinem Lied wird.
    Aus dieser Perspektive oder besser aus dieser Auslöschung jeder individuellen Perspektive heraus begann ich teilweise zu verstehen; wenn auch nicht die individuelle Bedeutung dieser chaotischen Anblicke, Geräusche, Gerüche und Gefühle Edokus, so zumindest doch auf eine vage und unscharfe Art und Weise das Wesen dieses Ortes, die ästhetische Weltanschauung der Edojin, die höhere Logik hinter dem willkürlichen Chaos, in dem sie lebten.
    Denken Sie an die Geschichte dieses Planeten. Vor Tausenden von Jahren, nach einer generationenlangen Reise in der einfachen, begrenzten und völlig künstlichen Realität ihrer Arkologie, fanden sich die ersten Siedler

Weitere Kostenlose Bücher