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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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verlagerten und im Farbton wechselten, als tanzten tausend Tänzer eine Pavane auf einer gewaltigen Bühne und als würde jeder Darsteller von einem besonderen Scheinwerfer verfolgt und angestrahlt.
    Dann schlingerte die Fähre etwas, während sie weiter sank, und am Rande meines Gesichtsfeldes erschien ein Stück schwarzer Raum, der dem chaotischen Mahlstrom der Farben einen fein geschwungenen Rand gab. Schließlich begann ich in dem, was ich sah, einen Sinn zu erkennen und brachte endlich die sensorischen Daten mit meinem astronomischen Wissen in Verbindung.
    Edoku war eigentlich kein Planet, sondern der Satellit eines großen Gasriesen, und es war die Oberfläche jener gewaltigen Welt, oder besser der Tumult in ihrer Atmosphäre aus so kurzer Entfernung gesehen, daß das Auge sie nicht ganz erfassen konnte. Sie lieferte den Hintergrund, vor dem Edoku zu sehen war. Also waren die leuchtenden Scheiben die Lichtwandler in den Kreisbahnen, von denen jeder einen kleinen Teil von Edokus Oberfläche beschien.
    Und wirklich war die heranrasende Oberfläche des Planeten facettiert wie das Juwelenauge eines Insekts oder ein Mosaikfenster aus farbigen Glassplittern; jede Facette, jede Glaskachel, jeder Bereich wurde von oben so beleuchtet, wie es gewünscht wurde, in jeder Farbe und nach jeder Stunde des »Tageslichts« – Mittag, Abenddämmerung, Sonnenaufgang, bleicher Mondschein und so weiter –, und das Ganze schimmerte und waberte, während die Lichtwandler langsame Veränderungen durchliefen wie ein Waldboden, der unter einem winddurchwehten Dschungeldach Tausende von Farben annimmt.
    Während die Fähre rasch aus dem Orbit hinunterglitt, wurde der Anblick noch verwirrender und blendender, denn wir flogen mit der Geschwindigkeit eines stroboskopischen Flackerns durch Sonnenaufgänge, Sonnenuntergänge, Mittagshelle, Inseln der Nacht. Berge, Plazas, große und kleine Bauwerke, Flüsse, Wüsten, alles verschwamm ineinander zu einer pointillistischen Landschaft, in der sich die organischen Färbungen des Naturreichs und die grelleren und unterschiedlichen Tönungen der Menschenwerke so vermischten, überlagerten und unterlegten, daß das Ganze en passant wie ein einziges formloses, farbloses Durcheinander wirkte, in dem dennoch alle denkbaren Spielarten von Farbe und Form, alle denkbaren Verwandlungen des Organischen und Künstlichen enthalten waren.
    So warf ich den ersten Blick auf das große Edoku: Ich starrte mit überwältigten Sinnen aus dem Bullauge, mein Geist war gespalten, als hätte ich Gift genommen und sähe das ganze Universum im formlosen Chaos einer einzigen Flamme gespiegelt!
     
    Mein erster Blick auf Edokus Oberfläche sollte mir noch mehr von diesen Phänomenen zeigen, und wenn meiner Beschreibung hier ein gewisser Zusammenhang und Rahmen fehlen sollte, vraiment, so gibt der Bericht mit dem klareren und reiferen Auge des Rückblicks dennoch mehr wieder, als das junge Mädchen, das ich damals war, im Augenblick der wahrhaft überwältigenden Konfrontation mit dem Schauspiel der Realität selbst begreifen konnte.
    Unsere Fähre landete und entließ die Passagiere auf einer mittäglichen Wiese, die sich dicht unter den Gipfel eines kleinen, bewaldeten Berges schmiegte – jedenfalls schien es in diesem Augenblick so –, und auf dieser Alpenwiese ruhte noch ein halbes Dutzend ähnlicher Fahrzeuge, von denen drei ebenfalls Reisende ausspuckten. Von diesem Aussichtspunkt aus gesehen lag Edoku vor mir ausgebreitet, erstreckte sich in die Ferne und löste sich am Horizont in einem Bogen von fast dreihundert Grad auf.
    Was ich von dieser stillen Wiese aus sah, war ein Chaos, das mir nicht nur den psychischen Atem nahm, sondern sich weigerte, seine barocke Detailfülle zu einer zusammenhängenden, übergreifenden Realität aufzulösen – egal, wie lange ich starrte und blinzelte.
    Denn was ich sah, schien nicht so sehr der Ausblick auf irgendeinen Planeten zu sein, den ich mir hätte vorstellen können, sondern ein gewaltiges Holo, geschaffen von einem Künstler, der sich an die Surrealität der inneren Visionen des Unbewußten gehalten hatte.
    Mehr als der halbe Himmel wurde von der mächtigen Sphäre von Edokus Hauptplaneten, dem Gasriesen, eingenommen, und der Rest war die sternenbesetzte Schwärze des Weltraums. Doch die illuminierte Luft über der Landschaft unter mir schien völlig vom Himmel gelöst, als sähe ich ein Diorama, erleuchtet und angestrahlt von gefiltertem Licht, das durch Löcher aus

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