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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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einer bemalten Zimmerdecke fiel. Von Horizont zu Horizont glühte und schimmerte die Landschaft, hellte sich auf und verdunkelte sich unter einem kompliziert gewobenen Lichterteppich; Mittag, Sonnenuntergang, Dunkelheit, Sonnenaufgang, Winter, Frühling, Sommer und Herbst lagen in langsam ziehenden Mustern auf dem Land, als tanzten sie zur unhörbaren Musik völlig berauschter Götter.
    Außerdem ist es völlig unzutreffend, von dem, was unter diesem Kaleidoskop von Stunden und Jahreszeiten lag, wie von einer Landschaft in normalem Sinne zu sprechen, denn die Berge, Gebäude, Seen, Pavillons, Ströme, die Flora, die Standbilder, Wüsten und so weiter waren allesamt auf eine Weise zusammengewürfelt und verwoben, daß jeder Sinn für das Natürliche und das Städtische und sogar jedes Gefühl für Maßstäbe verlorenging.
    Stellen Sie sich, wenn Sie wollen, einen Planeten vor, der als Ganzes geformt, bepflanzt und gepflegt ist wie ein strenger, abstrakter Garten im Nihonjin-Stil, vollgestopft mit schneebedeckten Bergen, donnernden Flüssen, öden Wüsten, grünen Wäldern, spiegelnden Seen und nackten Steinmassiven; doch kein Detail ragte besonders aus der Geographie heraus, und die Maßstäbe der Geologie wechselten allenthalben. So konnte es einen Wald geben, dessen Laubdach einen Berggipfel in der Nähe überragte, dort einen Fluß, der eine Insel aus Wüstendünen umkreiste, an einem anderen Ort einen Dschungelsumpf auf einem schroffen Gipfel, von dem sich ein gewaltiger Wasserfall ergoß, der gegenüber dem stillen Lilienteich an seinem Fuß zwergenhaft erschien.
    Und nun setzen Sie in diesen willkürlich zusammengewürfelten Garten eine endlose Stadt, gebaut aus einer Mischung jedes denkbaren Architekturstils und in einem Maßstab, der sich keineswegs an den Bestandteilen des Gartens orientierte, aus dem die Gebäude wie bizarre Pilze sprossen. So diente ein Berggipfel vielleicht als Mittelpunkt eines öffentlichen Platzes, Bäume erhoben sich höher als der Turm einer Pagode in der Nähe, während ein Wald in einem anderen Bezirk aus denselben Pflanzen zu bestehen schien wie die Hecke einer Promenade am Seeufer. In einer Gegend brüllte und schäumte ein Wasserfall hinter einer Straße mit Holzhäusern, während an einem anderen Ort eine ebensogroße Kaskade ein bloßes Rinnsal an der Mauer eines flachen Gebäudes war.
    Weder eine planetenweite, großzügig angelegte Stadt noch ein weltumspannender, mit Gebäuden durchsetzter Garten, verband die Oberfläche Edokus die Elemente von beidem, ohne die Bereiche zu trennen und ohne einen durchgängigen Maßstab – abgesehen davon, daß die geologischen Elemente, vor denen die Menschenwerke hätten winzig erscheinen müssen – Berge und Flüsse, Wüsten und Seen –, ihrerseits vor den Menschenwerken klein erschienen, während im Gegensatz dazu Bäume und sogar einzelne Blumen die Türme aus Silber und Glas überragen konnten. Um die städtische und natürliche Umgebung weiter zu verschmelzen und die nicht existierende Trennlinie zwischen ihnen noch irrealer werden zu lassen, waren vielleicht in mächtigen Bäumen die Fenster eines Hauses zu sehen, während sich eine Wendeltreppe zu einem schneebedeckten Gipfel hinaufwand und auf dem Dach eines Hauses ein ganzer Wald stand.
    Und alles breitete sich unter mir aus – nicht im Licht einer einzigen fremden Sonne, sondern beleuchtet von einem verrückten Flickenteppich aus Tag und Nacht, Sonnenaufgang und Mittag, blassem Winterlicht und lohendem Sommer unter einem unpassenden Himmel aus sternübersätem Schwarz, dominiert vom trägen Brodeln auf der Oberfläche des Gasriesen.
    Und was wichtig ist, oder vielleicht auch nicht: Dieser schwindelerregende Ausblick bot leider einen besseren Überblick über Edoku als jeder andere Aussichtspunkt, denn wie ich erfuhr, ist die Landestelle so angelegt, daß der Ausländer psychisch möglichst leicht Zugang zu Edoku findet, wogegen die Ästhetik des Planeten selbst ausschließlich dem Gefallen der Edojin selbst dienen soll; diese sind der festen philosophischen Überzeugung, daß jeder Überblick sowohl falsch als auch hoffnungslos unbefriedigend sei, daß »die Realität« nichts weiter sei als ein örtlicher künstlerischer Stil, daß beständiges Eintauchen in die sich ständig wandelnden Details des Chaos die einzig angemessene Grundlage für ein zivilisiertes Leben sei und daß das volle Verständnis Edokus gleichermaßen bedeute, eine unendliche Langeweile und eine

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