Kind des Glücks
worden waren. Und während ich ein paar dieser grotesken Figuren mit Wesen ausprobierte, die nur Lingam waren oder sogar mit zahlreichen, übermenschlich potenten Phalli versehen waren, und während ich mich in sexueller Hinsicht nie als Erzreaktionärin verstanden habe, fand ich dennoch diese Erfahrungen psychisch unendlich abstoßend, obwohl ich eine Vielfalt von Orgasmen genoß, wenn diese Bezeichnung dafür zutreffend ist.
»Theater« und »Holocines« boten mit einiger Sicherheit mehr oder weniger das, was man vermuten konnte, nämlich Aufführungen von Schauspielen auf der einen und Vorstellungen holographischer Filme auf der anderen Seite, doch »Unterhaltung« nahm auf Edoku ein breites Spektrum von kunstvollen, bizarren, langweiligen, unverständlichen und üblen Beschäftigungen ein! Selbst jetzt noch sind meine Erinnerungen ein kaleidoskopisches Gewirr von Bildern, Geräuschen, Gerüchen, Erfahrungen und Gefühlen, deren Zersplitterung mehr an der Art der Realitäten selbst als an den Drogen liegt, die ich einnahm, um meine Wahrnehmung zu verstärken oder in machen Fällen auch zu dämpfen.
Es gab Schwebetänze unter Null g, bei denen die ungeschickten Gäste eingeladen wurden, sich den Künstlern anzuschließen; Zeitlupentänze von gemischten Truppen aus Menschen und genmanipulierten saurierartigen Kolossen unter erdrückender Schwerkraft in einer Kulisse, die die Oberfläche eines Gasgiganten simulieren sollte.
Es gab Darbietungen von – hoffentlich gespielten – Folterungen und Hinrichtungen in düsteren Steinverliesen und auf öffentlichen Plätzen sowie eine Vielzahl nachgestellter Schlachten zwischen menschlichen Kriegern aus verschiedenen historischen Perioden und genmanipulierten Kreaturen, die phantasievoll erfundene, intelligente Außerirdische oder Monster aus Literatur und Mythen darstellten.
In einem weiten Amphitheater unter bleichem Mondlicht wurden mehrere Stunden lang zur Unterhaltung des Publikums farbenprächtige, ohrenbetäubende Explosionen inszeniert. Eine andere »Symphonie« bestand ganz aus fugenähnlichen Sätzen von Gerüchen – feine, merkwürdige, widerliche –, die schwerelos in völliger Stille und Dunkelheit wahrgenommen wurden.
Daneben gab es natürlich alltäglichere Musik jeden Stils und jeder Periode, vermischt und verflochten mit den bereits erwähnten Stilmitteln, doch ebenso dargeboten in feierlicher Einsamkeit auf Berggipfeln, zwischen Wüstendünen, auf treibenden Booten, sogar in Nachbildungen alter irdischer Konzerthallen, wo das Publikum herausgeputzt in steifer, unbequemer, schwarzer und weißer Kleidung saß und bei drückender Schwüle ausharren mußte.
Wenn ich den Eindruck erwecke, daß ich diese ersten beiden Wochen auf Edoku sozusagen mit aufgerissenen Augen und ohne jedes Urteilsvermögen verbrachte, daß ich sinnliche Eindrücke aufsaugte und aufnahm ohne den analytischen Versuch, sie in den Zeitablauf meines Geistes einzuordnen, und bewußtlos jede Erfahrung einfach speicherte – nun, wenn das möglich ist, war ich eher in einer noch tieferen Trance, als bisher angeklungen ist.
Es ist seltsam zu sagen – oder vielleicht doch nicht so seltsam –, daß ich in dieser Zeit keine Freunde fand, nicht einmal Bekannte; doch ich hatte keine psychische Energie frei – nicht einmal für die alltäglichsten menschlichen Kontakte, von einer intensiven Beziehung mit den fremden, rätselhaften Edojin ganz zu schweigen.
Denn in jedem wachen Augenblick mußte ich meine ganze Energie dafür einsetzen, mit der Überladung aller meiner Sinne durch einen Mahlstrom von fragmentarischen, neuen und völlig desorientierenden Erlebnissen zurechtzukommen.
Was nicht heißen soll, daß dieser ausschließlich auf Erfahrung gerichtete Bewußtseinszustand unangenehm war – nicht einmal in den Augenblicken, wenn die surreale Landschaft, durch die ich wanderte, verwirrend, geschmacklos oder gar beängstigend wurde. Au contraire, für den Geist eines Kindes von Nouvelle Orlean, das die beiden letzten Jahre damit verbracht hatte, eben diesen ekstatischen Bewußtseinszustand zu erlangen, der nun von satorischen Augenblicken des transzendenten Neuen erzeugt wurde, war dieser Zustand beständiger und immer gegenwärtiger Vertrautheit mit dem Wundervollen die gesegnete Vervollkommnung von allem, was ich mir in meinen wildesten Träumen vom Leben eines Kindes des Glücks erhofft hatte.
Es ist deshalb im nachhinein nicht so überraschend, daß mein Bewußtsein keinen Platz
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