Kinder der Apokalypse
und warteten. Sie hatte gelernt, mit ihnen zu leben, aber sie gefielen ihr nicht. Selbst nachdem sie ihren Zweck erfahren hatte, verstand sie immer noch nicht, was Fresser waren und was sie geschaffen hatte. Bestanden sie aus etwas Greifbarem? Sie nährten sich von den Gefühlen menschlicher Wesen, aber eigentlich sollten Schatten keinen Grund haben, sich überhaupt ernähren zu müssen. Es gab nun so viele von ihnen, dass es beinahe unmöglich war, sie nicht wahrzunehmen. Es schien kaum vorstellbar, dass kein Mensch sie sehen konnte außer den wenigen, die waren wie sie.
Besonders verhasst war ihr, wie sie sie umschwärmten, wenn sie im Kampf gegen die Dämonen und Einst-Menschen stand. Sie konnte sie spüren, wie man eine Spinne spürte, die über die Haut lief. Selbst wenn es nur Schatten waren. Wie konnte etwas, das nur ein Schatten war – kaum mehr als eine Verdunkelung der Luft –, einem das Gefühl geben, es sei am Leben?
Ihre Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem Kampf zu. Tausende von Fressern schwärmten am Fuß der Lagermauern entlang, stiegen über die Toten und die Verwundeten hinweg und labten sich an ihrem Schmerz und Elend. Sie waren überall, schwarze Gestalten, die sich wanden und zuckten, während sie fraßen. Es gab so viele, dass es stellenweise unmöglich erschien, etwas anderes zu sehen. Unter ihrer dunklen Masse kämpften Menschen und Einst-Menschen ums Überleben.
Und die Einst-Menschen siegten, ihre Armee war gewaltig und mächtig, ihrem Angriff war nicht standzuhalten. Grob zusammengezimmerte Belagerungstürme kamen zum Einsatz. Lange Leitern wurden an die Mauern gestellt, und Rammen hämmerten gegen die verstärkten Eisentore. Es war ein Angriff mit allen verfügbaren Kräften, einer, der am Ende Erfolg haben würde. Diese Armee hatte an anderen Orten Artillerie gegen die Lager eingesetzt. Aber die mechanischen Waffen waren nach und nach auseinandergefallen, als die Situation schlimmer wurde und das Material aufgebraucht oder zerstört war. Alles war jetzt grobschlächtig, kehrte beinahe zurück in mittelalterliche Zustände. Aber das bedeutete nicht, dass die Armee weniger erfolgreich sein würde. Wenn man jene fragte, die in den anderen Lagern gegen sie gekämpft hatten, konnte man froh sein, wenn man noch am Leben war. Es schien egal zu sein, welche Art von Kriegsmaschinen verwendet wurden, die Einst-Menschen waren immer im Vorteil. Sie ließen sich nicht in Lager einschließen. Sie hatten keine Angst zu sterben. Sie waren nicht einmal geistig gesund. Ihr Wahnsinn und ihre Blutgier trieben sie an.
Und sie hatten diesen alten Mann, der ihnen voranschritt.
Sie blieb im Windschatten einer Gasse stehen, keine zwei Blocks mehr entfernt von der Stelle, an der der Kampf tobte, nahe genug, dass sie die Wut auf den Gesichtern der Kämpfenden sehen konnte, und das Blut, das ihre Kleidung durchtränkte. Sie schloss sich einen Moment lang an, und die Oberfläche des Runenstabs in ihren Händen wurde so schwarz und flach wie ein Teich in der Nacht. Sie konnte den Männern und Frauen helfen, die das Lager verteidigten. Sie verfügte über genug Macht, um die Einst-Menschen wie trockenen Staub zu zerstreuen. Aber dieser Versuchung durfte sie nicht nachgeben. Deshalb war sie nicht hier, und sie konnte es sich nicht leisten, sich ablenken zu lassen. Außerdem würde jede Magie seitens des Stabs die Dämonen wecken, und die Dämonen suchten bereits nach ihr.
Besonders dieser alte Mann.
Robert hatte sie schon im vergangenen Jahr vor ihm gewarnt, kurz vor dem Ende, als er sich ein letztes Mal mit den Verteidigern der Lager von New Mexico und Arizona zusammengetan hatte. Der Alte hatte damals die gleiche Armee zu ihren Mauern geführt und sie belagert, sie eingeschlossen, alle Fluchtrouten abgeschnitten. Robert hatte getan, was er konnte, aber ein einzelner Ritter des Wortes genügte nicht – nicht damals, und nicht heute. Sie hatte Robert fünf Jahre lang gekannt, in Denver an seiner Seite gekämpft, und vielleicht hätte sie sich auch in ihn verlieben können, wenn die Dinge anders gelegen hätten und sich zu verlieben vernünftig gewesen wäre. Robert war zäh, geistig und körperlich, ein besserer Kämpfer als sie. Aber es hatte nicht genügt, um ihn zu retten.
In seinen letzten Briefen, die er mit Brieftauben verschickt hatte, hatte er den Alten beschrieben, damit sie ihn erkannte, wenn er Los Angeles erreichte, was er, wie Robert damals schon wusste, tun würde. Hoch gewachsen und gebeugt,
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