Kinder der Apokalypse
sie am Ende nichts retten konnte. Die Menschheit ging unter, eine einst unerschöpfliche Menge wurde stetig von Millionen auf Hunderttausende und schließlich auf Tausende reduziert. Angel hatte keine Ahnung, wie viele Menschen es noch gab, nur, dass es mit jedem Sonnenaufgang weniger wurden. Das war ein Trend, der umgekehrt werden musste, sonst würde das Unvorstellbare geschehen und die Menschheit tatsächlich ausgelöscht werden. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das erreichen sollte, außer, indem sie rettete, wen sie retten konnte, in der Hoffnung, dadurch etwas zu bewegen.
So viel war schiefgegangen, dass sie sich kaum vorstellen konnte, dass noch etwas funktionierte. Das Wort hatte bei diesem Kampf einmal die Oberhand gehabt, aber nun sprach alles für die Leere. Wie hatte das geschehen können, wenn doch alle wussten, wie sie sich dagegen wappnen sollten? Die Antwort war selbstverständlich einfach. Nicht genug von denen, die gewarnt worden waren, hatten es geglaubt.
Sie führte ihre kleinen Schutzbefohlenen zu den Wartenden und blieb zurück, als sie auf die Lastwagen stiegen. Sie ließ sich einen Moment Zeit, um zur Stadt zurückzublicken und sich nach Anzeichen einer Verfolgung umzuschauen. Aber sie sah nur, dass es dunkler wurde. Es kam ihr so vor, als hörte sie immer noch die Schreie der Verwundeten und Sterbenden, aber sie wusste inzwischen, dass das nur in ihrem Kopf geschah. Sie wünschte sich, diese Schreie unterbinden zu können, zum Schweigen zu bringen. Aber sie wusste aus Erfahrung, dass das unmöglich war.
Die Lastwagen waren beladen und fuhren los. Es waren alte Modelle, die Zündungen kurzgeschlossen, und sie liefen mit Solarbatterien. Sie würden die Kinder weit genug bringen, damit sie in einiger Entfernung zur Stadt waren, aber nicht viel weiter. Sechshundert Kilometer waren es bis San Francisco, zu weit, um zu Fuß zu gehen. Die Batterien würden ersetzt oder neu geladen werden müssen. Sie hoffte, dass ihre Leute in ihrer Abwesenheit darüber nachgedacht hatten. Sie hoffte, dass alles vorbereitet war.
Aber im Augenblick konnte sie nicht mehr tun. Zu müde, um weiter nachzudenken, stieg sie auf die Ladefläche des letzten Lastwagens, rollte sich in einer Ecke zusammen und schlief schnell ein.
***
Sie verbrachte eine unruhige Nacht inmitten der bedrückten Kinder, die ihren Schlafbereich teilten, immer wieder unterbrochen von heftigem Gewackel und lauten Autogeräuschen. Dann erwachte sie am frühen Morgen, als der Lastwagen sich nicht mehr bewegte. Sie war steif und wund und einen Moment lang verwirrt. Sie hatte von den Lagern und den Angriffen der Einst-Menschen geträumt. Der Anblick und die Geräusche des Kampfes waren noch frisch in ihrem Kopf, eine wilde Mischung erschreckender Kräfte, die den Gestank des Todes intensiv in ihre Nase trieben. Es fühlte sich an, als wäre es gerade erst passiert und als wären sie in letzter Sekunde entkommen.
Sie stieg vom Lastwagen und grüßte ein paar der Guerillas, die die Kinder bereits in Gruppen organisierten, die jene zusammenfasste, die aus Anaheim gekommen waren. Angel sah einen Augenblick zu, erfüllt von einer Traurigkeit, die sie nicht abschütteln konnte. Es war alles so vergeblich, so hoffnungslos. Sie retteten die Kinder, aber wofür? Für eine Chance zu leben? Und was für eine Chance würden sie haben, wenn sich am allgemeinen Bild nichts änderte?
Sie waren jetzt im Guerillalager, einer waldigen Zuflucht, die Eingänge und Ausgänge in mehreren Richtungen hatte und von einem Dutzend höher gelegener Aussichtspunkte aus im Auge behalten werden konnte. Die Verteidiger waren schwer bewaffnet und offenbar gut organisiert. Angel glaubte nicht, dass sie sich überraschen ließen, hatte aber nicht vor, lange genug zu warten, um diese Möglichkeit zu überprüfen. Noch vor dem Mittag würden sie nach Norden weiterziehen, und Angel beschloss, sie zu begleiten. Es war besser so, weil sie sicher war, dass der alte Mann ihnen mit seinen Armeen und Waffen und seiner unersättlichen Vernichtungsgier folgen würde.
Genauer gesagt, ihr folgen würde, um sie zu vernichten.
Sie dachte einen Moment darüber nach und entfernte sich vom Lager weg, begab sich unter das Blätterdach der Bäume, wo sie ungestörter nachdenken konnte. Das wahre Ziel seiner Anstrengungen war sie. Sein Ziel als Diener der Leere bestand darin, die verbliebenen Ritter des Wortes auszulöschen, und wahrscheinlich gehörte sie zu den letzten. Ihr Kampf mit dem
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