Kinder der Apokalypse
weiblichen Dämon hatte deutlich gezeigt, wie wichtig es dem Alten war, sie zu finden und zu eliminieren. Er würde damit nicht aufhören, nur weil dieser Angriff zu nichts geführt hatte. Er würde sie weiterverfolgen, vielleicht aus einer anderen Richtung, auf eine andere Weise. Er würde näher und näher kommen, bis einer von ihnen tot war.
Einen Augenblick lang dachte sie daran umzukehren und sich ihm zu stellen. Sie dachte daran, ihn anzugreifen, bevor er sie zur Strecke brachte. Das würde er nicht erwarten. Sie könnte ihn vielleicht überraschen. Vielleicht könnte sie ihn sogar umbringen, bevor er begriff, dass er in Gefahr war. Der Gedanke war sehr verlockend. Der Dämon würde für alle Leben bezahlen, die er genommen hatte, für allen Schmerz, den er bewirkt hatte, für all das Böse, das er getan hatte. Es wäre eine wundervolle Rache. Aber es war auch ein Traum erster Ordnung. Johnny hätte sie schnell darauf hingewiesen, und sie war klug genug, das in seiner Abwesenheit selbst zu tun.
»Angel Perez?«
Die Stimme schien aus dem Nichts zu kommen. Angel sah sich schnell um und fragte sich, wer ihr aus dem Lager gefolgt war. Aber sie konnte niemanden sehen. Sie blieb vollkommen reglos stehen, denn sie wusste, dass sie es sich nicht eingebildet hatte, dass jemand ihren Namen aussprach.
»Bist du Angel Perez?«, fragte die Stimme.
Diesmal wandte sich Angel der Stelle zu, von der die Stimme zu kommen schien, aber wieder sah sie nur Bäume, Blätter und Gras, halb verwelkt von der Verschmutzung und durchzogen von Nebel. »Wo bist du?«
Eine kleine, schlanke Gestalt kam aus dem Wald, materialisierte sich wie etwas, das erst in diesem Moment eine wirklich feste Form angenommen hatte. Es war ein Mädchen, die Haut kreidebleich, die Augen wie dunkle Teiche, das Haar lang und fein und beinahe blassblau. Es trug durchscheinende Kleidung, die aussah, als wäre sie Teil seines Körpers. Reglos stand es vor Angel, ein ätherisches Geschöpf von hinreißendem, exotischem Aussehen, und ließ sich von der Ritterin des Wortes betrachten.
»Ich heiße Ailie«, sagte es.
Angel wusste sofort, was sie vor sich hatte. Es war ein Schemen, ein seltsames Wesen aus dem Feenland, körperlich geworden aus den Erinnerungen toter Kinder, lebendig geworden durch die Umstände und aufgrund eines Zufalls, um ein Leben ähnlich dem einer Eintagsfliege zu führen. Wie lange würde es dauern – einen Monat, zwei? Sie versuchte, sich zu erinnern, und konnte es doch nicht. Die Schemen, von denen Angel wusste, kannten nur einen einzigen Zweck – ihrer Herrin zu dienen, der Stimme des Wortes. Angel hatte noch nie einen Schemen gesehen, aber Robert hatte ihr von ihnen erzählt. Schemen gehörten zu den wenigen Geschöpfen des Feenlands, die unbeschadet geblieben waren, als die Dämonen die Magie aus dem Gleichgewicht brachten, und die den Aufstieg der Leere überlebt hatten.
»Sie hat mich zu dir geschickt«, bestätigte der Schemen, als könnte er ihre Gedanken lesen. »Sie hat mich zu dir geschickt, um deine Hilfe im Kampf gegen die Leere zu erbitten. Sie weiß, dass der Kampf schlecht verläuft, aber sie weiß auch, dass es immer noch eine Chance zum Sieg gibt.«
Angel starrte das kindliche Geschöpf an und versuchte, die Worte mit der Sprecherin in Einklang zu bringen, sich vorzustellen, was es für sie bedeuten mochte, in einer Welt von Dämonen und Menschen zu existieren.
»Ich habe die Herrin bisher nur in meinen Träumen gesehen«, sagte sie dann plötzlich zu ihrem eigenen Erstaunen.
Es hieß, dass nur wenige sie noch sahen. Das war so, seit das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse in Richtung Leere gekippt war. Die Herrin kam nicht mehr zu den Rittern des Wortes, nicht mehr in ihren Träumen und auch nicht mehr, wenn sie wach waren, obwohl sie sich ihr verpflichtet hatten. Sie war eine unsichtbare Präsenz, eine Legende, die keinen Bestand mehr hatte, aber es gab immer noch Ritter des Wortes, die weiter an sie glaubten.
Weiter an sie glauben mussten, verbesserte sie sich.
»Die Herrin hat dich zu mir geschickt?«, fragte sie und wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. »Was soll ich tun?«
Ailies Stimme war leise und hatte einen Singsangton. »Sie sagt, du hast ihr gut gedient, du hast alle Kinder gerettet, die du retten konntest. Sie will, dass du sie hierlässt und alleine weiterziehst. Sie will, dass du dich für sie auf die Suche nach einem verlorenen Talisman machst. Sie glaubt, du bist diejenige, die
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