Kinder der Dunkelheit
anderen Ende des Pavillons stand. Ehe Sabine begriff, was geschah, löste Andrea mit geschicktem Griff die Seidenbahnen über dem toten Körper und übergab ihn den Strahlen der Sonne. Was dann passierte, hätte Sabine lieber nicht gesehen. Doch sie wusste, dass der Respekt und die Ehrerbietung gegenüber dem Toten es geboten, zu bleiben. So lange, bis sein Leichnam zu Staub zerfallen war.
Habibs Haut begann, dort Blasen zu werfen, wo ihn die Sonne direkt traf. Sein Gesicht fiel merklich ein, alle noch verbliebene Flüssigkeit löste sich leise zischend in feinen Dampf auf. Es glich einer Mumifizierung im Zeitraffer. Sein empfindlicher Körper wurde auch von der Kleidung nur für einen Moment geschützt. Dann durchdrangen die Strahlen der Sonne den Stoff. Andrea hatte die Ärmel von Habibs Gewand nach oben geschoben, um das Ritual zu beschleunigen. Je mehr Sonne auf die blanke Haut fiel, desto schneller verfiel sie.
Erst in diesem Augenblick wurde Sabine klar, was es für ein Kind der Dunkelheit bedeutete, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Welch unvorstellbaren Mut sie aufbringen mussten, um sich diesen sicher unglaublichen Schmerzen freiwillig auszusetzen! Habibs blutleerer Körper verging sicher vergleichsweise rasch, doch ein lebendiger Körper, mit einem schlagenden Herz, würde eine weitaus längere Zeit fürchterliche Qualen ertragen müssen, wie sie ja bereits wusste. Über welch ungeheure Willensstärke und innere Kraft verfügten die Kinder der Dunkelheit! Sabine blickte voll Ehrfurcht auf Habib, von dem sie, nach allem, was sie über ihn erfahren hatte, sicher war, dass er es ohne zu zögern auch getan hätte.
Der Körper war bis auf die Knochen in sich zusammengefallen, als Raffaele schließlich beschloss, dass es nun an der Zeit war, den geliebten Freund den Flammen zu überlassen und seinem Geiste die Freiheit zu schenken. Er nickte Luca zu, dieser en tzündete eine Fackel, reichte sie ihm und Raffaele steckte den Leichnam in Brand. Nun ging es noch rascher, ein letztes Aufbäumen der Flammen und weißer Rauch stieg gen Himmel, dem die Blicke aus brennenden Augen folgten, bis er sich endlich im milden Frühlingswind auflöste. Erst dann zogen sich die Freunde in die schützenden Mauern ihres Hauses zurück, gefolgt von Sabine, die es, auch wenn sie Habib im Leben nicht gekannt hatte, am Ende nicht mehr fertigbrachte, ihre Tränen zurückzuhalten.
Luca und Angel standen in dem engen Flur beisammen, der hineinführte, und es war deutlich zu erkennen, wie sehr die beiden Vampire um ihre Fassung rangen. Langsam ging Sabine auf Luca zu und als er keine Anstalten machte, sich ihr zuzuwenden, berührte sie zaghaft seinen Arm.
„Luca, er ist tot, doch hätte er gewollt, dass ihr euch so sehr quält? Der Freund, den ihr verloren habt, hat euch geliebt und er wollte ganz sicher vor allem, dass ihr ihn in bester und ehrenvoller Erinnerung haltet.“
Beinahe widerstrebend wandte sich Luca ihr zu. „Meine Pri nzessin, du ahnst nicht, wie viel mit ihm gestorben ist. So viele Hoffnungen, so viel Liebe und so viele Pläne! Die Erinnerung wird nie sterben, doch sein Licht wird nicht mehr für uns leuchten. Habib war über siebenhundert Jahre auf dieser Erde. Eine lange Zeit, um tiefe Spuren zu hinterlassen. Er wird mir unendlich fehlen.“ In Lucas Züge war die Trauer um den geliebten Freund tief eingegraben. Mit einem Aufstöhnen schlang er seine Arme um Sabine und hielt sie fest an sich gedrückt, als fürchte er, auch sie könnte ihm im nächsten Moment entrissen werden.
Sie lehnte den Kopf an seine breite Brust und hielt einfach nur still, wissend, dass jedes Wort fehl am Platz sein würde und der Mann, den sie so sehr liebte, jetzt nur ihre Nähe und ihr schweigendes Verständnis benötigte, um mit den Geschehnissen zurechtkommen zu können.
Das Schweigen hatte sich wie ein schwerer Teppich über das Haus gelegt. Kein Laut drang aus den anderen Stockwerken, jeder schien sich verzweifelt auf der Suche nach Trost in sich selbst zurückgezogen zu haben. Erst Minuten später lockerte Luca seine feste Umarmung und noch immer eng umschlungen traten sie schweigend den Weg in ihre Räume an.
„Luca, was wird nun geschehen? Was werdet ihr tun?“ Ängstlich suchte Sabine seinen Blick, denn sie bezweifelte, dass sie tatsächlich hören wollte, was er ihr gleich antworten würde. Tief aus seinem Brustkorb kam ein tiefes Grollen, das Sabine an den verhängnisvollen und zugleich wunderbaren Tag erinnerte, der
Weitere Kostenlose Bücher