Kinder der Dunkelheit
schwarzer Turban verdeckte den größten Teil seines ebenholzfarbenen Haares und das schwarze Gewand erinnerte Sabine an die Reitermäntel der Beduinenfürsten in den vielen Filmen und Dokumentationen, die sie über eben jenes stolze und unbeugsame Volk gesehen hatte. Um den ganzen Leichnam waren aus Orchideen geflochtene Gebinde verteilt, in denen einzelne Rosen steckten. Auf seiner Brust lag auch jetzt das große funkelnde Schwert, von dem Sabine wusste, dass ein einziger Hieb den Tod bringen konnte . Letzte Nacht hatte es wohl seinen Meister gefunden. Habibs Anblick ließ sie erahnen, dass ein besonders wertvolles Wesen sein Leben verloren hatte, und als ihr Blick weiter über die Terrasse glitt, entdeckte sie auch Luca, Raffaele und Angel.
Habib war unter einem schmiedeeisernen Pavillon aufgebahrt wo rden, der jetzt noch die Sonne abhielt. Rote und weiße Seidenbahnen spannten sich wie ein Dach über den Toten und auch der Rahmen des Pavillons war mit zahlreichen Blumen umwunden. Unter diesem schützenden Aufbau standen die drei Kinder der Nacht, reglos, ihre Gesichter von Trauer gezeichnet. Zu Ehren des Verstorbenen trugen sie alle die Kleidung seines Volkes. Die großen Männer sahen, eingehüllt in die dunkelblauen bodenlangen Umhänge noch eindrucksvoller aus als sonst und ihre Gesichter, aus denen jedes Leben, jede Regung gewichen schien, machten Sabine sogar ansatzweise Angst. Zum ersten Mal wurde ihr beim Anblick der drei bewusst, dass sie zwar Lebewesen aus Fleisch und Blut waren, doch auch erbarmungslos zuschlagen würden, sollten sie herausgefordert werden oder irgendjemand in Gefahr geraten, der ihnen lieb und teuer war.
Kurz und dennoch intensiv wie ein lodernder Funke traf Lucas Blick den ihren, als habe er ihre Gedanken gelesen. Seine Augen, wenn auch so anders als sonst, brachten sie zurück und sie wi dmete sich wieder gänzlich dem Toten, der hier vor ihr lag.
Mit langsamen Schritten trat Raffaele neben die Totenstätte und b egann, in weichen, kehligen Lauten zu Habib zu sprechen: Dies war sein Abschied an den Mann, den er schon als Baby in seinen Armen gehalten hatte, den er aufwachsen sah, mit dem er gekämpft und gelacht hatte und den er nun dem ewigen Licht für immer übergab.
Zuerst erfasste Sabine es gar nicht, dass Marcello, Raffaeles treuer Diener, direkt hinter ihr stand und ihr die Worte in der fremden Spr ache, die Raffaele von sich gab, leise auf Deutsch ins Ohr flüsterte:
„Lebe wohl, der du mir warst wie ein Sohn, lebe wohl – du, den ich in den Armen wiegen durfte, dem ich beim Schlafen zusehen konnte und der vor meinen Augen zu einem beeindruckenden Manne gereift ist. Meine Trauer vermag ich nicht in Worte zu fassen, nichts könnte meine Gefühle wiedergeben, nichts den Schmerz beschreiben, der mich ausfüllt. Du warst der Augenstern deiner Mutter und der ganze Stolz deines Vaters. Sie alle und ihre Liebe haben dich zu dem gemacht, der du warst: ein kostbares, unwiederbringliches Wesen, das mit dem Leuchten in seinen Augen und dem Klang seiner Stimme die Sonne überboten hat. Niemals werde ich dich vergessen, stets werde ich stolz erzählen, dich gekannt zu haben, und an dich denken, wenn bei klarer Nacht über mir die Sternschnuppen verglühen – wissend, dass es deine Grüße aus der Unendlichkeit sind, an uns gesandt, allein dazu gedacht, unser tiefes Leid zu lindern.
Du aber, mein Sohn, wirst von heute an mit den stolzen Mä nnern deines Volkes reiten, mit den Ahnen, die weit vor dir ihren Fuß auf die Ebenen der Unendlichkeit gesetzt haben. Mit dem heutigen Tage haben sie einen neuen, heldenhaften Kämpfer an ihrer Seite, den ganzen Stolz Abdallahs und Janans. Sie werden dich voller Freude empfangen, wie auch wir dich zu ihnen schicken. So gehe nun in allen Ehren hin, Habib, geliebter Sohn und Freund. Friede sei mit dir auf deinem letzten Wege!“
Raffaele trat einen kleinen Schritt zurück und ließ Luca nach vorn treten. Dieser schaffte es nicht, zu sprechen, sondern strich stattdessen sanft über das Gesicht des toten Freundes und küsste dessen Stirn, bevor er wieder neben Raffaele trat.
Angel, der sonst so coole und lässige Vampir, kämpfte sichtlich mit seinen Gefühlen. Auch er verabschiedete sich mit dem Stir nkuss von dem langjährigen, treuen Weggefährten. „Leb wohl, alter Freund. Niemand kann ermessen, wie sehr du mir fehlen wirst.“
Schließlich standen die drei wieder in einer Reihe nebeneina nder und Raffaele nickte Andrea zu, der am
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