Kinder der Dunkelheit
einige eilig zwischen Raffaele und Luca gewechselte Sätze au fgeschnappt. Soweit sie es verstand, waren nun die schlimmsten Spuren beseitigt und von den beiden Toten nur der Mensch zurückgelassen worden. Den Vampir hatte Andrea weit in die Lagune hinausgefahren und am Strand einer der kleinen, unbewohnten Inseln abgelegt. Die Sonne würde alle Überbleibsel vernichten, lange bevor ein Mensch zufällig auf diesen Ort stoßen konnte. Wer der entartete Mörder gewesen war, konnte ihnen egal sein – sie kannten seinen Herrn und dieses Wissen war Tragödie genug. Habibs letzter Wunsch sollte ihm erfüllt werden. Sein Weg auf die andere Seite würde ehrenvoll sein, dem Sohn eines Fürsten würdig.
Luca hatte ihr angekündigt, dass man sie beizeiten holen ko mmen würde, und so stand sie nun auf dem kleinen schmiedeeisernen Balkon und ließ die fast schon verstörende Schönheit dieses frühen Morgens auf sich wirken. Ihr war, als wüsste sie, dass das, was jetzt auf sie zukam, ihr viel Kraft abverlangen würde. So versuchte Sabine, sich so gut, wie es ihr eben möglich war, gegen etwas zu wappnen, das sie nicht einschätzen konnte.
Nervös zupfte sie an den langen Ärmeln ihres Kleides und strich sich den bodenlangen Rock zurecht. Wer konnte wohl über die unvorstellbare Macht verfügen, den Sohn eines Ältesten zu täuschen, ihn in eine Falle zu locken und ihn zu töten? Sie wusste in der Zwischenzeit genug über die Kinder der Dunkelheit, um sich darüber im Klaren zu sein, dass ein Mann wie Habib über Kräfte verfügte, die weit über das menschliche Vorstellungsve rmögen hinausgingen. Genauso war ihr bewusst, dass Luca in ihrer Gegenwart seine übernatürlichen Fähigkeiten bestmöglich versteckte, um sie in keiner Situation zu ängstigen. Nur zu gut erinnerte sie sich jetzt, nachdem die traumatischen Erinnerungsfetzen einer klaren Momentaufnahme gewichen waren, der Wucht, mit der er Thomas damals mit nur einer Hand gegen die Wand geschleudert hatte, sodass diesem sämtliche Knochen im Leib gebrochen waren und er auf der Stelle tot gewesen war.
Trotz der frühen, wärmenden Sonnenstrahlen fröstelte Sabine. Was mochte das sein, das dort draußen irgendwo auf dieser Welt lauerte? Luca hatte ihr versprochen, dass sie alles erfahren würde, nur nicht jetzt. Das verstand sie nur zu gut. Ihre trüben, von Furcht durchset zten Gedanken wurden durch das Klopfen an der Zimmertür jäh unterbrochen. Eilig schloss sie die Balkontür und sperrte die Sonne aus – ein Routinehandgriff, der ihr mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen war. Das Zusammenleben mit Vampiren färbte rasch ab.
Wenn sie erwartet hatte, Luca zu sehen, so wurde sie en ttäuscht. Marcello stand dort, in einer schwarzen Livrée mit silbernen Knöpfen, seine Augen waren verdächtig gerötet. Sie alle hatten Habib gekannt und Sabine begann zunehmend zu begreifen, dass ihr die Bekanntschaft und vielleicht ja sogar die Freundschaft eines wertvollen Menschen verwehrt geblieben waren.
„Bitte, Sigñora, wenn Sie mir folgen würden. Die Zeremonie beginnt.“ Marcello deutete eine kleine Verbeugung an.
Sabine ahnte nun endgültig, dass sie gleich etwas beiwohnen würde, was sie wahrscheinlich nie mehr vergessen würde. So folgte sie dem Diener über die Treppe zum Dachgeschoss, in dem sich viele Gästezimmer sowie der Ausgang auf eine wundervolle Dachterrasse befanden. Marcello trat an die offene gläserne Tür, die zum Dach führte, und bedeutete ihr, hinauszutreten.
Ein wenig unsicher angesichts dessen, was sie erwarten würde, fand sich Sabine kurz darauf auf der Terrasse in einem Meer von Blumen wieder. In hüfthohen Kristallvasen, die ein Viereck von etwa fünf mal fünf Metern markierten, waren unzählige Blume nsträuße aufgereiht. Blutrote langstielige Rosen wechselten sich ab mit scharlachroten und weißen Orchideen. In der Mitte dieses beeindruckenden Blumenarrangements stand ein rechteckiges Gebilde, möglicherweise ein Tisch, über den ein cremefarbenes Seidentuch drapiert war. Darauf hatte man Habib aufgebahrt.
Der Tote sah aus wie eine schlafende Statue, wie Sabine sie aus zahlreichen griechischen und ägyptischen Museen kannte. Sein G esicht war von geübten Händen zu alter Schönheit verzaubert worden. Die langen schwarzen Wimpernkränze ruhten auf seiner ebenmäßigen Haut, die nun wieder den Teint von sahnigem Milchkaffee aufwies, sein voller Mund schien zu lächeln. Sie hatten ihn in die Kleidung seiner Väter eingehüllt: Ein
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