Kinder der Dunkelheit
wir ihm seinerzeit genommen haben. Er will die Weltherrschaft und sobald es kein großes, mächtiges Kind der Dunkelheit mehr gibt, sobald alle tot sind, steht ihm niemand mehr im Wege.“ Habib stöhnte zwischen zusammengepressten Zähnen. „Er weiß seit langer Zeit, wie man uns töten kann. Jetzt holt er zum großen Schlag aus.“
Der tödlich Verwundete erzitterte in Lucas Arm. Noch einmal verstärkte der Freund den festen Griff seiner Hand. „Du musst mir etwas versprechen. Nehmt meinen Leichnam mit! Sie dürfen mich nicht finden, das wisst ihr. Bitte schickt mich so auf die andere Seite, wie es sein muss. Sagt meinem Vater, dass ich nicht versagt habe! Hier und heute aber habe ich meinen Meister g efunden. Luca, ich … lege meinen Abschied aus dieser Welt in deine Hände. Angel, ich werde … unsere Fechtübungen vermissen, du warst verdammt gut.“
Angel konnte nicht antworten. Er sah den Freund nur noch durch einen Schleier an Tränen, so griff er nur wortlos nach Habibs Hand und senkte den Kopf.
„Keine Tränen, meine Brüder! Keine Tränen, mein Leben … war lang und ihr habt es so viele Jahre mit eurer Freundschaft bereichert, ich bin … sehr dankbar. Ich bitte euch nur noch, meinen Vater und meine Mutter zu umarmen und … meinen Körper … der Sonne zu übergeben. Lebt … wohl, Friede … sei mit euch.“
Mit der Kraft der mächtigsten Kinder der Dunkelheit hatte H abib es geschafft, seinen Auftrag doch noch zu erfüllen, doch nun war fast alles Blut aus seinem Körper geflossen. Sein zerstörtes Herz hatte für immer aufgehört zu schlagen.
Eine seiner letzten Bitten aber konnten Luca und Angel nicht erfüllen. Die beiden Vampire kauerten neben Habibs totem Körper und weinten bittere Tränen um den Freund, der sie so viele Jahre lang begleitet hatte.
21.
Das Morgenrot übergoss die Türme und hohen Bauten Venedigs mit einem rotgoldenen Farbreigen. Hellblauer Himmel, nur leicht mit weißen Schleierwolken überzogen, spannte sich wie ein schützender Baldachin über die Lagunenstadt. Die ersten Blumen, von ganz Wagemutigen bereits auf den Balkonen und Dachterrassen dem beginnenden Frühling anvertraut, reckten erwartungsvoll ihre Knospen und die halb geöffneten Blütenkelche den ersten Sonnenstrahlen entgegen. Noch waren die Kanäle nicht von lärmenden Booten oder eilig dahintuckernden Lastkähnen verstopft. Das lange Boot, das des Morgens die Müllberge entsorgte, glitt vorüber, während die Männer eiligst darauf bedacht waren, den von den Menschen angesammelten Unrat schnellstmöglich verschwinden zu lassen. Nichts sollte die Schönheit und den magischen Zauber dieser Stadt stören.
Wie trügerisch diese Idylle doch war! Vor wenigen Stunden noch hatten Luca und Angel den toten Fürstensohn zurückg ebracht, sorgsam eingewickelt in Tücher und mit seinem Schwert auf der Brust. Sabine fühlte sich innerhalb weniger Sekunden um Jahrhunderte zurückversetzt. Hier wurde ein getöteter Ritter nach geschlagener und verlorener Schlacht nach Hause gebracht. Ohne dass sie Habib gekannt hätte, überfiel sie eine tiefe Traurigkeit. Allein die versteinerten Gesichter der Menschen, die sie liebte und schätzte, hatten ausgereicht, dass auch sie trauerte.
Es war aber so viel mehr! Das, was sie von dem guten Freund und „Waffenbruder“, wie Luca ihn nannte, schon im Vorfeld erfahren hatte – das Gute und die Geduld, mit der er Luca vor vielen Hundert Jahren in sein neues Leben geführt hatte. Habib und sein Vater Abdallah hatten einst wie Raffaele und der ihr noch unbekannte Vittorio ihrem Liebsten die letzte Furcht genommen und Luca auf ein sehr, sehr langes Leben mit all seinen Herausforderungen und Gefahren, aber auch auf all die guten Seiten vorbereitet. Nun trugen sie Habib schweigend hinauf ins Dachgeschoss, um ihn auf seine letzte große Reise vorzubereiten.
Sie hatte Luca nicht bedrängt, war stillschweigend zurück in ihr Zimmer gegangen und hatte für den heutigen Morgen ein langes schwarzes Kleid ausgewählt, das ihr dem Anlass angemessen schien Ihr hüftlanges Haar war zu einem Zopf geflochten. Als einzigen Schmuck steckte sie ein mit Strasssteinen besetztes Kämmchen mittig über den Zopfansatz am Nacken ins Haar. Luca hatte sie gebeten, Habibs Abschiedszeremonie beizuwohnen, ihm war wichtig, dass sie – mochte der Anlass auch noch so schrecklich sein – die Bräuche der Kinder der Dunkelheit kennenlernte.
Nach der Rückkehr der beiden in der Nacht hatte sie am Rande
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