Kinder der Dunkelheit
tiefes Stöhnen.
In diesem Augenblick wäre Sabine am liebsten aufgestanden und hätte ihn umarmt; möglicherweise wäre das die letzte Handlung in ihrem Leben gewesen, aber zumindest ehrlich und spontan. „Stefano, bitte verzeih mir. Bitte! Ich wollte das wirklich nicht. Es fällt dem Verstand schwer, das Herz zu übertönen – und selbst wenn der Verstand langsam die Oberhand gewinnt, tut es immer noch unendlich weh.“ Tränen rollten, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, über ihre Wangen. Stefano sah sie aus seinen noch immer leuchtenden Augen lange an. Sein Blick schmerzte sie so, als könne sie die Pein fühlen, die er selbst verspürte. Seine Zerrissenheit bereitete ihr körperliche Schmerzen.
Mit einer blitzschnellen Bewegung stand er vor ihr und riss sie in seine Arme. Er hielt sie nur fest. „Nein, du musst mir verzeihen! Ich hätte das alles nicht sagen sollen! Du hast es nicht verdient, verletzt zu werden – und doch habe ich es getan. Es tut mir so leid“, flüsterte er ihr ins Ohr, bevor er das Gesicht in ihren Haaren vergrub. „Bitte weine nicht, hab keine Angst vor mir. Sprich mit Luca, klärt das, ihr werdet es irgendwie schaffen, das fühle ich. Denn bei einer Sache bin ich mir völlig sicher: Er liebt dich. Bevor ich noch mehr Schaden anrichte, verschwinde ich jetzt nach oben.“
Sie fühlte einen kurzen Kuss auf ihrer Stirn und im nächsten Augenblick war Stefano verschwunden, er konnte das eindeutig noch viel schneller als Luca oder Angel. Noch immer zitternd, stand Sabine nun allein mitten in dem großen Raum und bemerkte Marcello zuerst gar nicht, der auf einmal ein wenig eingeschüchtert neben ihr stand.
„Sigñora, alles in Ordnung? Hat er –“
„Nein, Marcello, hat er nicht. Alles ist gut. Stefano tut niema ndem etwas. Warum weiß nur ich das?“ Da in dem Augenblick die Tränen wieder zu fließen begannen, schlängelte sie sich rasch an dem verblüfften Diener vorbei und rannte, so schnell ihre Beine sie trugen, hinauf in ihr Zimmer. Dort warf sie sich auf das breite Bett und schluchzte ihre Enttäuschung in die Kissen.
Zwei Räume und einen Flur weiter saß Stefano, nur mit seiner Hose bekleidet, auf der schmiedeeisernen Brüstung seines Ba lkons. Wie so oft zuvor, war er auf dem schmalen Geländer in die Hocke gegangen und hielt, ohne die geringsten Probleme, die Balance. Sein Blick wanderte über die teils verwitterten alten Dächer, die so viel von der Geschichte dieser Stadt erzählen konnten, hinunter zu den im Mondlicht glitzernden Kanälen und dann zaghaft drei Balkone weiter, wo er Lucas Privaträume wusste. Während der milde Wind sanft über seinen nackten Oberkörper strich und ihm Strähnen seines Haares ins Gesicht trieb, fragte er sich verzweifelt, weshalb er das gerade getan hatte. Warum musste er immer wieder in die Rolle des gefühllosen Arschlochs fallen? Eigentlich wollte er Luca doch gar nicht schaden, aber immer aufs Neue brach es aus ihm heraus. Stefano stützte die Ellbogen auf die Knie und verbarg das Gesicht in den Händen.
30.
Zwei Flugstunden entfernt fand Angel in dem sehr geschmackvoll eingerichteten und eigentlich hervorragend abgesicherten Appartement auf der Ile de la Cité, mitten in Paris, keine Spur mehr von Richards Tochter Audrey.
Das Chaos in der Wohnung erzählte davon, dass ein schreckl icher Kampf stattgefunden hatte; die geköpften Körper ihrer vier Wächter bezeugten, dass man es hier mit jemandem oder etwas zu tun hatte, das die Kräfte der normalen Kinder der Dunkelheit bei Weitem übertraf. Die Männer waren regelrecht hingerichtet worden. Angel aber konnte Audreys Angst noch immer in den Räumen spüren – zumindest hatte sie gelebt, als man sie verschleppte. Wer dahintersteckte, wusste er sofort, aber was er damit bezweckte, war ihm schleierhaft. Die erstgeborenen Söhne der Fürsten waren samt und sonders abgeschlachtet worden. Warum nun die Töchter entführen?
Die Nachricht, dass seine Tochter lebte, vermochte Richard nur wenig zu beruhigen. Angel wies ihn eindringlich an, jetzt keine übereilten Schritte zu unternehmen. Wie auch? Niemand konnte sagen, was dieser Bastard Alexandre plante. Aus Istanbul wusste ein genauso ratloser Sergej zu berichten, dass Selda ebenso spurlos verschwunden war wie Audrey. Angel ahnte schon, was der Anruf bei Craigh, der in aller Eile aus Schottland nach Madrid gereist war, an Information hervorbringen würde. Luisa, Domingos Tochter, hatte ein Konzert am Abend vorzeitig
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