Kinder der Dunkelheit
Glück. Niemand begegnete ihr und unten im Foyer hörte sie, wie hinter Andrea das Tor ins Schloss fiel. Nun musste sie nur noch an Marcello und Angel vorbei, wobei vor allem Angel die eigentl iche Gefahr darstellte. Sicherlich konnte er fühlen, wenn sie nicht mehr da war. Aber das Risiko musste sie eingehen, es half nichts. Sie wollte weg, weg von den Männern, die sie so sehr mochte und die doch nicht die waren, die sie in ihnen gesehen hatte, weg von den allgegenwärtigen Erinnerungen an Luca, die so entsetzlich wehtaten, weg aus diesem schrecklichen Gefühlschaos – einfach nur weit weg. Allein das Bett anzusehen oder das Fell vor dem Kamin brachte sie schier um den Verstand. Nein, wenn sie schnell war, konnte sie es schaffen. Angel konnte nicht hinaus in den hellen Sonnenschein und heute strahlte der Planet mit ganzer Kraft vom Himmel.
Es gelang ihr, das Fenster zum Balkon geräuschlos zu öffnen, sie sah kurz nach unten und stellte fest, dass es sehr ruhig war. Nur wenige Spaziergänger hatten sich an diesem Morgen in die kleine Seitenstraße verirrt. Gut so! Nun musste sie schnell sein und auf Glück hoffen. Sabine warf ihre Reisetasche über die Brüstung in die Tiefe und sah, dass sie direkt neben der Hau smauer landete. Schnell griff sie sich ihre Umhängetasche und lief recht geräuschvoll die Treppe hinunter. Dort öffnete sie laut die Tür zu Raffaeles Studierzimmer und ließ sie wieder ins Schloss fallen. Sabine hielt die Luft an und lauschte kurz. Nichts außer den üblichen, dumpfen Geräuschen aus der Küche. So weit, so gut.
Auf Zehenspitzen trippelte sie zur Eingangstür und öffnete sie so leise wie möglich. Die gut geölten Scharniere machten keinen Mucks. Es gelang ihr, sie ohne einen einzigen Laut zu öffnen, hinaus zu schlüpfen und sie leise hinter sich wieder ins Schloss zu ziehen. Im Laufschritt umrundete sie den Palazzo und fand ihre Tasche unberührt vor. Dankbar drückte sie sie an sich, warf einen letzten Blick auf das Gebäude, in dem sie wundervolle Dinge erleben durfte, aber auch die möglicherweise größte En ttäuschung ihres Lebens erfahren musste.
In aller Eile hastete sie zu der kleinen Anlegestelle und wieder war das Glück auf ihrer Seite, denn just in diesem Augenblick kam gluckernd ein Wassertaxi, das einen schnaufenden Touristen ausspuckte, vor ihr zum Stehen. Kaum war der Reisende an Land, warf Sabine ihre Tasche an Bord des Kahns und sprang hinterher, wobei sie fast in den armen Fahrer gesprungen wäre.
„Buon giorno, Sigñora, Sie haben es aber eilig, was? Sind sie auf der Flucht?“ Wenn er auch nur annähernd geahnt hätte, wie nahe er der Wahrheit kam!
Sabine gelang ein schiefes Grinsen. „Nicht ganz, ich muss nur rasch zum Flughafen, ich hab verschlafen und meine Maschine geht in knapp zwei Stunden.“
„Ja dann, setzen Sie sich mal besser hin, den Flieger schaffen Sie, versprochen.“ Der Fahrer lächelte sie aufmunternd an und fuhr los, ehe sie richtig saß. Sabine wagte es nicht, sich umzudrehen und einen Blick zurück zu werfen; die Gefahr, dass die Tränen, die hinter ihren Lidern lauerten, doch fließen würden, war eindeutig zu groß. Wenige Augenblicke später bog das Wassertaxi in den großen Kanal ein und reihte sich in die endlose Schlange an Booten ein, die sich ihren täglichen Weg durch Venedigs Wasserstraßen bahnten.
33.
„Sag mal, du Schwachkopf hängst nicht besonders an deinem Leben, oder?“ Ares war stinkwütend. Er hatte gerade mal drei Stunden geschlafen und nun rief ihn dieser Trottel mitten am Tag an. Ungehalten fuhr er sich durch die wirre Lockenmähne. Der Anrufer sprach tapfer weiter, da er sich außer Reichweite von Ares’ Zorn wusste und schon nach den ersten Worten veränderte sich der Gesichtsausdruck des blonden Vampirs grundlegend.
„Sag das noch einmal. Das ist ja fast schon zu schön, um wahr zu sein. Und sie ist es wirklich?“ Ares lächelte zufrieden wie ein sattes Kind. „Meine kühnsten Träume werden wahr! Du hast was gut bei mir. Nein, ich bring dich wahrscheinlich doch nicht um, wenn du mir unter die Finger kommst.“ Nach kurzer Überlegung fügte er in ernstem Ton hinzu: „Ich zieh dir möglicherweise die Haut in Streifen ab, aber sonst passiert dir nichts.“ Die Reaktion am anderen Ende ließ ihn laut auflachen. „Mann, das war ein Scherz. Habt ihr das Boot startklar? Sehr schön. Bleibt an ihr dran, wir legen voraussichtlich übermorgen Abend am Kap Gata nördlich von Almeria an. Von dort
Weitere Kostenlose Bücher