Kinder der Dunkelheit
verstand er ihn schlicht und einfach nicht mehr. Sicherheitshalber überprüfte er noch einmal das Funkgerät. Es funktionierte tadellos, jeder seiner an Land verbliebenen Leute konnte ihn folglich erreichen, wenn Gefahr im Verzug oder aber etwas Neues zu vermelden war. Schon fast im Halbschlaf, schälte er sich aus seinem Shirt, vergrub wenig später den Kopf in den Kissen und war eingeschlafen, ehe er sich noch einmal umdrehen konnte.
Die Morgensonne schickte ihre warmen Strahlen bereits über die Hausdächer, als Angel in den Palazzo spurtete.
„Lass die Tür gleich auf. Ich hau wieder ab.“ Stefano wartete mit Sack und Pack hinter dem Eingang, warf sich seinen Seesack über die Schulter und schickte sich offenbar soeben an, den P alazzo zu verlassen.
„Immer mit der Ruhe, Mann! Was ist denn los? Hattest du Ärger mit Sabine?“
Stefano schüttelte müde den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Sie ist ein sehr, sehr schlaues Mädel. Es macht Spaß, mit ihr rauszugehen und zu reden. Aber ich gehöre einfach nicht hierher.“
Angel griff intuitiv nach seinem Arm. „Das sehe ich aber a nders. Du gehört sogar mehr hierher als ich.“
Stefano musterte ihn überrascht. „Es wundert mich, das aus deinem Mund zu hören. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du die neuesten Storys über mich nicht kennst.“
Angel grinste. „Ich kenne sie alle, na gut, fast alle. Und ich muss sagen, einige kann ich verdammt gut verstehen. Alles andere geht mich nichts an, das ist dein Leben, Stefano. Du musst wissen, was du tust, und irgendwie tief in mir drin bin ich in letzter Zeit zu der Überzeugung gelangt, dass du es weißt. Zumindest meistens.“
Stefano seufzte leise und fixierte gedankenverloren den antiken Türklopfer an der Pforte. „Das mag sein. Ich arbeite dran. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich mich jetzt vom Acker mache. Möglich, dass die Kleine später ein paar Fragen an dich hat.“
Er wandte sich schon zum Gehen, als Angel nochmals versuchte, ihn zurückzuhalten. „So bleib doch hier, die Sonne geht auf, hast du Lust, gegrillt zu werden?“
„Lass gut sein, ich hab das Schnellboot herbeordert und am H afen wartet ein Wagen zum Bahnhof. Wir haben Sondergenehmigung zum Reinfahren bis an den Zug. Glaub mir, ich muss weg. Ich hab das Handy an, meine Nummer liegt dort auf dem Tisch. Sie ist für dich. Ich fahr erst mal nach Bologna und von dort aus möglicherweise nach Neapel. Ciao!“
Weg war er. Immer wieder staunte Angel über Stefanos Fähi gkeit, sich in Sekundenbruchteilen unsichtbar machen zu können. Er war um ein Vielfaches schneller als Luca oder er selbst und das wollte schon etwas heißen. Er hörte noch, wie das Schnellboot ablegte und davon brauste. Da war Stefano wieder einmal davongezogen und er konnte sich nicht helfen, aber er fand es schade. Allerdings hätte er jetzt nur zu gern gewusst, warum Sabine Fragen an ihn haben könnte. Doch das musste noch warten. Mit einem unguten Gefühl im Bauch ging er in sein Zimmer, um zu duschen und ein wenig zu schlafen, soweit das möglich sein würde.
32.
Nach durchweinten und durchwachten Stunden mochte sie heute nicht einmal die sonst so geliebte und heiß ersehnte Sonne sehen. Die schweren Vorhänge blieben geschlossen und Sabine lag müde und traurig unter der weichen Decke, den Kopf in das nass geweinte Kissen vergraben.
Nach Thomas war Luca ihr wie ein Licht in der Finsternis e rschienen. Wie glücklich sie über seine Sanftheit, sein offensichtliches Harmoniebedürfnis gewesen war! Und nun sollte das alles eine Lüge sein? Luca, ihr Luca, ein versierter Killer? Er schaltete unbequem gewordenen Mitglieder der Gemeinschaft einfach aus? Das bedeutete dann wohl, dass er den Sohn des italienischen Fürsten ebenfalls eliminiert hatte – und das, so wie es aussah, auch noch auf Anordnung des eigenen Vaters. Wohin war sie nur geraten? Das durfte alles einfach nicht wahr sein!
Ein erneuter Tränenstrom ergoss sich über ihre Wangen und ließ die Welt, die sie umgab, in undefinierbarem Grau ve rschwimmen. Würde er auch sie kaltblütig ausschalten, falls sie irgendwann psychische Probleme haben sollte? Würde er dann auf Anordnung von Raffaele sein Schwert zücken und ihr die Kehle durchschneiden? Das leise Klopfen an ihrer Tür ignorierte sie und stellte sich schlafend.
Dass Angel zurück war, konnte sie riechen und fühlen. Angel roch nach frisch gemähter Wiese, nach frisch gepflückten Zitru sfrüchten und ein wenig
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