Kinder der Dunkelheit
und gesättigt. „Ares, du störst mich nicht. Ich war gerade fertig.“
Sein Sohn sah hinunter auf das tote Mädchen, Bedauern lag in seinem Blick. „Sie war noch so jung.“
Mit einem leisen Kopfschütteln schob er seinen Sohn zurück in Richtung Pier.
„Ares, sie war nur ein Mensch. Es gibt ihrer viele, du musst dich nicht wegen ihnen sorgen. Über Frauen musst du noch viel lernen.“
Ares strich sich die langen dunkelblonden Haare zurück und konnte nicht umhin, zu lächeln. „Vater, im Ernst, wenn ich nach so vielen Jahren noch immer zu lernen habe, dann hast du in meiner langen Erziehung wohl etwas vergessen.“
„Nein, Ares, im Bezug auf Frauen kann man tausend Jahre alt werden und lernt dennoch immer etwas Neues dazu. Aber jetzt sprich, hast du Neuigkeiten für mich?“
Schlagartig wurde Ares wieder ernst. „Ja, natürlich. Die, welche wir gesucht haben, sind auf der ,La Aguila‘. Sie nehmen Kurs auf Tunis. Einer der Matrosen war sehr gesprächig, leider hat er es dennoch nicht überlebt. Sie haben seine Abwesenheit noch gar nicht bemerkt.“
Der Mann lächelte. „Ares, ich wusste es. Auf dich kann ich mich verlassen. Sei so gut und ruf jetzt unser Schiff, sie können ihre Deckung aufgeben.“
Ares nickte und beeilte sich, den Anweisungen seines Vaters Taten folgen zu lassen.
Der Mann sah ihm nach, Stolz lag in seinem Blick. Sein Sohn war sicherlich das Beste, was er bis jetzt in diesem armseligen Leben geschaffen hatte. Gemächlich schritt er zur Anlegestelle und richtete seine Augen auf den Horizont. Dort schälte sich langsam ein Schiff aus dem Dunkel der Nacht. Ein mächtiges Segelschiff von seltsamer Bauart, mit schwarzen Segeln, wie man es hier im Hafen so noch nie gesehen hatte. Das Schiff ankerte in einiger Entfernung vom Pier und nahm die kleine Gruppe, die sich anschickte, an Bord zu gehen, aus einigen Booten dort draußen auf. Als die Boote zum Ufer zurückgekehrt waren und einige der Umstehenden neugierig die einfachen Fischer fragten, wen sie denn dort gerade zu dem ungewöhnlichen schwarzen Schiff hinausgerudert hätten, bekreuzigten diese sich und erwiderten, sie wüssten es nicht, doch es sei gut, dass der dunkle, unheimliche Kerl und seine Begleiter jetzt weg seien.
Als die Menschen sich dem Horizont zuwandten, um das Schiff noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen, war es bereits wieder verschwunden.
Venedig, Dezember 2009
Luca erwachte aus einem kurzen, jedoch erholsamen Schlaf. Lächelnd betrachtete er die noch neben ihm schlummernde Frau, bevor er sich geräuschlos erhob und das warme Bett verließ, was ihm bei den aktuellen Temperaturen gar nicht so leicht fiel. Doch er war unruhig und brauchte etwas Bewegung. Vorsichtig zog er das Laken etwas höher über die Schlafende, schlüpfte in seine Jeans, die er achtlos über eine Stuhllehne geworfen hatte, und trat ans Fenster.
Er schob den schweren Samtvorhang ein wenig beiseite und blickte hinaus in die nächtliche Lagunenstadt. Selbst jetzt, zu dieser eigentlich frühen Stunde, eilten bereits viele Menschen durch die schmalen Gassen. In den langen Jahren, in denen er nun schon hier lebte, hatte er die Überzeugung gewonnen, dass Venedig wohl nie schlief.
Das mochten andere Städte auch von sich behaupten, doch hier war es etwas anderes. Hier rasten keine hupenden Taxis durch die Straßen, hier ertönten keine nervenden Polizeisirenen, die das hundertste Verbrechen in einer Nacht ankündigten. Hier erwachte in den Nächten die Magie zum Leben. Boote glitten lautlos über die im Mondlicht glitzernden Kanäle, Musik klang aus Theatern und Privathäusern, die alten Mauern wisperten ihre Geschichten in die Nacht für alle, die sie zu hören vermochten. Raffaele hatte, wie so oft, recht behalten: Luca hatte sich Hals über Kopf in Venedig verliebt.
Als sie nach Tunis gesegelt waren, wollten sie eigentlich nur etwa ein Jahr bleiben. Über fünfzig waren es geworden – Jahre, in denen er unbeschreiblich viel gelernt hatte. Abdallah war ein guter und geduldiger Lehrherr gewesen. Der beeindruckende Beduinenfürst, eines der ältesten Kinder der Dunkelheit, hatte ihn eingeführt in eine Welt, die ihm anfangs völlig fremd gewesen war und die sich ihm nur langsam und zögerlich erschlossen hatte. Abdallah aber hatte es verstanden, diese Welt für Luca Stück für Stück zu öffnen.
Er und Raffaele hatten ihm seine neuen Möglichkeiten aufg ezeigt, ihm die Welt offenbart, wie sie wirklich war, jenseits der
Weitere Kostenlose Bücher