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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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isoliert hatten«, sagte sie, »war es in der Retrospektive vergleichsweise einfach, die Auswirkungen auf Blutkonserven und vorbereitete Proben festzustellen. Der J-Virus ... eigentlich ist es ein Retrovirus ... bindet gp120-Glykoprotein an CD 4 -Rezeptoren in T-Helferlymphozyten ...«
    »Mann, Mann«, sagte O'Rourke. »Sie meinen, Sie können einfach Blutproben unter dem Mikroskop ansehen und wissen, ob es sich um Strigoi handelt?«
    Kate machte eine Pause und sah Lucian an. »Ganz so einfach ist es nicht. Wir können nicht einfach nur durch das Okular sehen, aber ... ja, man kann einen Unterschied feststellen, wenn der J-Retrovirus mit fremden Blutzellen reagiert.«
    Lucian brachte den ersten Träger an. »Ist Ihnen die erstaunliche Zahl befallener Zellen aufgefallen?« Er sprach mit Kate.
    »Wir haben fast neunundneunzig Prozent ermittelt«, sagte sie.
    »Was bedeutet das?« fragte O'Rourke.
    Kate erklärte es ihm. »Der HIV-Retrovirus befällt etwa eine CD 4 -Zelle in hunderttausend. Das sind sehr viele, wenn man bedenkt, wie viele Milliarden Zellen wir haben. Aber der J-Virus ... nun, der ist gierig. Er versucht, alle fremden Blutzellen zu infizieren, die ihm unterkommen.«
    O'Rourke trat von der Arbeitsfläche zurück. Sein Gesicht über dem dunklen Anzug und dem Priesterkragen sah totenbleich aus. »Aber er kann nicht so ansteckend sein ... wir wären alle Vampire ... Strigoi ... wenn das so funktionieren würde.«
    Kate mußte lächeln. »Nein, er ist überhaupt nicht ansteckend, soweit wir das sagen können. Er wird im Körper des Wirts durch einen komplexen doppelt rezessiven Genvorgang erzeugt, den wir nicht verstehen. Außerdem ist er nicht von der SCID-Immunschwäche abhängig, die zu dem Paket mit dazugehört.«
    »Und was bedeutet das?« fragte O'Rourke.
    Lucian antwortete, ohne das Gesicht vom Mikroskop zu nehmen. »Es bedeutet, daß man an einer seltenen tödlichen Blutkrankheit leiden muß, damit man durch eben diese Krankheit virtuelle Unsterblichkeit erlangt. Es ist nicht ansteckend.« Er sah auf. »Auch wenn wir vielleicht alle wünschen, daß es ansteckend wäre. Wer ist der erste?«
    Kate machte eine ›Du-zuerst‹-Geste.
    »Gestrenge Oberherrin«, sagte Lucian mit seinem spöttischen Mutant-Turtle-Dialekt. Er hob eine Lanzette, stach sich in den Finger, drückte soviel Blut heraus, daß er einen Tropfen auf den vorbereiteten Objektträger fallen lassen konnte, und gab Kate die Bettpfanne mit den Lanzetten. »Möchten Sie unserem Pater hier die Ehre geben?«
    Kate stach O'Rourke in den Mittelfinger, drückte einen Tropfen Blut heraus, bereitete den Objektträger vor und wiederholte den Vorgang dann bei sich selbst. »Ich behaupte immer noch, daß das nichts beweist«, sagte sie.
    Lucian behandelte die Proben ein paar Minuten lang unter Kates aufmerksamen Blicken. »Nun, es beweist immerhin, daß wir keine kleinen Vampirthrombozyten in meiner Probe sehen können«, sagte er schließlich und trat vom Mikroskop zurück. Kate beugte sich darüber und sah hinein.
    O'Rourke winkte ab, als er an der Reihe war. »Ich konnte nie mehr als meine eigenen Wimpern sehen«, sagte er. »Was für Vorbereitungen machen Sie da eigentlich damit?«
    Kates Probe wanderte als nächste auf den Objektträger. »Wir bereiten sie für eine Analyse auf reverse Transkriptase vor«, sagte Kate.
    O'Rourke hörte sich enttäuscht an. »Also könnten wir keine kleine Vampirthrombozyten sehen, selbst wenn wir es versuchen würden?«
    »Sorry, Kumpel«, sagte Lucian und holte eine Zentrifuge hervor, die nach Kates Meinung aussah, als wäre sie im Mittelalter hergestellt worden. »Aber die Analyse dürfte nicht lange dauern.« Er hielt ein sauberes Reagenzglas hoch. »Jetzt möchte ich noch eine Probe nehmen.«
    Kate verspürte den Impuls, über die Schulter zu sehen. Sie fragte sich, was sie tun würde, sollte jemand dort in dem Schatten stehen. »Von wem?« sagte sie.
    »Genau«, sagte Lucian. Er löschte das Licht und führte sie mit der Taschenlampe den Korridor entlang, wieder in den Keller und dann eine Treppe hinunter in ein noch tieferes Kellergewölbe.
    Kate roch es zuerst. »Die Leichenhalle«, flüsterte sie O'Rourke zu.
    Lucian blieb vor der letzten Schwingtür stehen. »Schon gut. Dies ist die alte Leichenhalle. Die Dozenten und Studenten benützen die neue, kleinere im Westflügel. Aber hier werden die Leichen gelagert, bevor die Studenten sie bekommen. Und manchmal benützt die Stadt sie als Zwischenlager für

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