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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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CDC gesehen.« Er kehrte die Handfläche zu dem Tank. »Jetzt sehen Sie es auf der makroskopischen Ebene. Aber ...« Er ging zu einem multiplen IV über dem Tank und klinkte den Tropf ab. »Wenn man ihm frisches Blut verweigert, Wirtsblut, dann frißt sich der Virus selbst auf.«
    Kate sah auf den Mann im Tank hinab. »Frißt seine eigenen Zellen auf? Kannibalismus der eigenen Blutzellen, obwohl der Retrovirus die DNS dort schon transkribiert hat?«
    »Nicht nur die Blutzellen«, sagte Lucian. »Der J-Virus greift sämtliche Wirtszellen an, die er finden kann, zuerst im Arteriensystem, dann in den wichtigsten Organen, dann Gehirnzellen.«
    Kate verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Es hat nicht den geringsten Wert für das Überleben der Person. Es ...« Sie verstummte, als sie begriff.
    Lucian nickte. »An diesem Punkt versucht der Retrovirus nur noch, den Retrovirus zu retten. Kannibalismus gewährt ein paar Wochen Aufschub, auch wenn der restliche Körper verwest. Möglicherweise - in einem Körper, der jahrhundertelang transkribiert wurde - Jahre.« Kate erschauerte.
    O'Rourke ging zu den Instrumenten, dann wieder zum Tank zurück. Sein Hinken war deutlicher zu sehen. »Wenn ich richtig verstanden habe, was Sie beide sagen, dann könnte ein Strigoi Monate oder länger nach seinem klinischen Tod in einer Art körperlicher Hölle verweilen. Aber er wäre doch sicher nicht bei Bewußtsein?«
    Lucian deutete auf das EEG. Als Kate das Herz des Mannes berührt hatte, zeigten die Gehirnwellen eine eindeutige Folge von Peaks.
    O'Rourke machte die Augen zu.
    »Folterst du diesen Mann?« fragte Kate.
    »Nein. Ich dokumentiere die Rekonstruktion.« Er zog eine Schublade an einem der Metallwagen auf und reichte Kate einen Stapel Polaroidfotos. Diese sahen wie gewöhnliche Aufnahmen einer Autopsie aus - sie konnte die Tischplatte aus Edelstahl unter der weißen Haut des Leichnams sehen -, aber der Leichnam des Mannes war weitaus verstümmelter, als er jetzt in dem Tank aussah. Die Fotos zeigten tiefe Wunden, wo am tatsächlichen Torso nur noch helle Narben auszumachen waren.
    »Vor sechzehn Tagen«, sagte Lucian. »Und ich bin anhand der Daten fast sicher, daß sich der Rekonstruktionsvorgang beschleunigt. Noch zwei Wochen, und er wird wieder kerngesund sein.« Er kicherte. »Und wahrscheinlich ein bißchen sauer auf mich.«
    Kate schüttelte wieder den Kopf. »Die schlichte Frage der Körpermasse ...«
    »Jedes Gramm Körperfett wird umgewandelt, absorbiert und wieder absorbiert und genverwandelt, damit es, wo erforderlich, als Füllmaterial dienen kann«, sagte Lucian. Er zuckte die Achseln. »Oh, man würde nicht den ganzen Mann zurückbekommen, wenn man ihm die Beine abschneiden oder das Becken entfernen würde - die Umverteilung der Masse hat ihre Grenzen - aber alles andere - voilà!« Er verbeugte sich vor dem Tank.
    »Und sie brauchen frisches Blut«, sagte Kate. Sie sah den Medizinstudenten finster an. »Ist das Joshuas Schicksal?«
    »Nein. Das Kind hat Transfusionen bekommen, aber als er Rumänien verließ, hatte er das Sakrament noch nicht empfangen.«
    »Sakrament?« sagte O'Rourke.
    »Das tatsächliche Trinken von Menschenblut«, sagte Lucian.
    »Das ist ein Sakrileg«, sagte O'Rourke.
    »Ja.«
    »Das Schattenorgan«, murmelte Kate. Dann, lauter: »Wenn sie das Blut direkt trinken, führt der J-Virus die DNS-Transkription und Immunrekonstruktion wirkungsvoller durch?«
    »O ja«, sagte Lucian.
    »Und hat es auch noch andere Auswirkungen? Auf das Gehirn? Auf die Persönlichkeit?«
    Lucian zuckte die Achseln. »Ich bin kein Experte, wenn es um die Auswirkungen psychologischer und körperlicher Sucht geht, aber ...«
    »Aber die Strigoi ... verändern sich ... wenn sie tatsächlich Menschenblut getrunken haben?«
    »Wir glauben es.«
    Kate lehnte sich an ein Oszilloskop. Willkürliche Peaks bildeten pulsierende grüne Echos auf ihrer Haut. »Dann habe ich ihn verloren«, flüsterte sie. »Sie haben ihn in etwas anderes verwandelt.« Sie sah in eine dunkle Ecke des großen Raums.
    Lucian kam näher zu ihr, hob eine Hand zu ihrer Schulter und ließ sie wieder sinken. »Nein, das glaube ich nicht, Kate.«
    Sie hob ruckartig den Kopf.
    »Ich glaube, sie warten bei Joshua bis zur Zeremonie der Weihe«, sagte er. »Dort wird er zum ersten Mal an dem Sakrament teilnehmen.«
    Pater O'Rourke gab einen sarkastischen Laut von sich. »Auf einmal scheinen Sie ein Experte in Fragen der

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