Kinder der Nacht
Brennen nicht mehr unten in ihrem Hals halten konnte. Sie verbarg das Gesicht in den Händen und weinte einfach nur.
Kate wußte nicht, wie lange sie da saß und weinte - es konnten ein paar Minuten sein, aber auch eine halbe Stunde -, als sie plötzlich feststellte, daß es regnete. Wieder ertönten hastige Schritte auf dem unsichtbaren Weg, als Suchtrupps oder Passanten Deckung suchten. Kate blieb einfach sitzen und hielt das Gesicht dem kalten Regen entgegen. Laub fiel wie nasses Papier um sie herum zu Boden, während der Regen in Graupel überging. Sie senkte das Gesicht und ließ die Hagelkörner auf ihren Hals und die Schultern prasseln.
Kate stellte fest, daß sie leise lachte. Als der plötzliche Eisregen nachließ, hob sie das Gesicht wieder zum grauen Himmel und sagte leise: »Mach es ruhig noch schlimmer, du Hure.« Das Pech war für Kate immer etwas Weibliches gewesen. Aber ihre Vorstellung von Gott auch.
Der Regen hörte im selben Augenblick auf wie Kates Gelächter. Sie zitterte - ihr billiger Mantel war durchnäßt -, achtete aber nicht auf die Kälte, sondern konzentrierte sich mit dem problemlösenden Teil ihres Verstandes auf die Situation. Die Tränen hatten ihr geholfen - hatten sie leer gemacht, sie beruhigt -, und nun ging sie die Situation an, als wäre sie eine schwierige hämatologische Diagnose.
Sie war eine illegal Eingereiste in einem feindlichen Land, wo fast unvorstellbare Mittel gegen sie ins Feld geworfen wurden, und die Chancen, Joshua zu finden, waren fast auf Null geschrumpft. Und selbst wenn sie das Kind gefunden hätte, so hatte sie keinen Plan gemacht, abgesehen davon, mit ihm zur Grenze oder zur amerikanischen Botschaft zu fliehen. Vorerst aber war sie von ihren beiden einzigen Freunden im ganzen Land getrennt worden, einem amerikanischen Priester und einem rumänischen Medizinstudenten, und bei keinem war sie sicher, ob es sich tatsächlich um einen Freund handelte. Wenn O'Rourke der Securitate und den Strigoi nun tatsächlich einen Hinweis gegeben hatte? Und wenn Lucian tatsächlich das Strigoi- Äquivalent eines Doppelagenten war, der eingefädelt hatte, daß sie benutzt und dann beseitigt wurde?
Kate schüttelte den Kopf. Sie hatte nicht genügend Daten, die Loyalität der beiden Männer in Frage zu stellen, aber O'Rourkes Verschwinden kurz vor dem Brand, der die Quelle des J-Virus zerstörte, war belastend. Das Rätsel würde sich auch nicht lösen lassen, wenn sie nicht wieder mit einem oder beiden Verbindung aufnehmen konnte.
Möchte ich sie wirklich wiedersehen?
Ja, wurde ihr klar. Nicht nur weil sie fror, durchnäßt war, Angst hatte und kein Rumänisch sprach, sondern weil sie beiden gegenüber komplexe Gefühle empfand.
Darum kannst du dich später kümmern. Was ist der nächste Schritt?
Sie dachte, wenn ihnen die Strigoi tatsächlich so sehr auf den Fersen waren, daß sie die Kellerwohnung beobachteten und die medizinischen Labors niederbrannten, dann konnte sie Radu Fortuna unmöglich wieder folgen. Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen würden getroffen werden. Welchen Teil der Zeremonie der Weihe die Strigoi heute nacht auch immer durchführen wollten, er würde ohne sie stattfinden müssen.
Wo kann ich Lucian oder O'Rourke wiederfinden?
Sämtliche Plätze, die ihr für ein Wiedersehen mit Lucian einfielen, waren mit Sicherheit auch den Strigoi bekannt: die Medizinische Fakultät, das Krankenhaus im Distrikt Eins, seine oder die alte Wohnung seiner Eltern. Kate schüttelte den Kopf.
O'Rourke. Wir haben uns nie über einen Treffpunkt unterhalten, abgesehen von der Kellerwohnung, aber wo ... nicht im Zentrum der Franziskaner hier in Bukarest. O'Rourke hatte gesagt, daß es routinemäßig von der Regierung überwacht wurde. Er ruft seine Kontaktpersonen dort immer an und vereinbart einen Treffpunkt durch eine Art Kode. Also wo?
Kate blieb noch zwanzig Sekunden schweigend sitzen, dann stand sie auf und schritt rasch zum entgegengesetzten Ende des Parks, mied größere Gruppen und wandte das Gesicht ab, wenn sie an anderen Passanten vorbeikam, die Schutz suchten.
O'Rourke saß auf der Parkbank bei der Lagune, wo sie im Mai gesessen waren und sich unterhalten hatten. Er war allein und hatte den Kragen des dicken Wollmantels hochgestellt, sah aber auf, als sie beim Kinderspielplatz stehenblieb, und sein Lächeln war aus dreißig Schritten Entfernung zu sehen.
»Ich bin schon vor der Dämmerung aufgestanden, um mich mit dem Abt des Franziskanerklosters in
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