Kinder der Nacht
und seelenlos - möglicherweise die Nationalhymne eines osteuropäischen Staates -, aber dann wechselte das Tempo, triumphierende Akkorde schwollen an, und Kate stellte fest, daß die Titelmusik von Rocky aus den Lautsprechern schmetterte. Sie schüttelte den Kopf. Wenn dies alles ein Alptraum war, dann hatte er gerade vom Surrealistischen ins Lächerliche gewechselt.
Gestalten in roten Umhängen traten durch die Tür auf die Plattform über der Menge. Lauter Jubel von den Männern drunten schwoll an. Dann stockte Kate der Atem, als sie sah, wie einer der Männer - war es Radu Fortuna? Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen - ein in Seide gewickeltes Bündel über das Geländer hielt, als wolle er es der Menge unten darbieten. Das Bündel regte sich, und Kate umklammerte O'Rourkes Arm, weil sie überzeugt war, daß Joshua hinuntergeworfen werden würde.
Die Gestalten auf dem Balkon schienen sich die Jubelrufe etwa eine Minute anzuhören, dann schritten sie wieder durch den Rundbogen hinein. Die Musik verstummte, die Menge löste sich auf und entfernte sich in Gruppen vom Turm. Kate sah, daß Zigaretten angezündet und Kapuzen abgenommen wurden. Kein Gesicht kam ihr bekannt vor, allerdings war auch keines so nahe, daß sie es deutlich sehen konnte. In dem Innenhof herrschte eine Atmosphäre wie bei einem Treffen des Rotary Club, wenn das Geschäftliche erledigt war.
Aber noch entfernte sich niemand.
Es dauerte noch zwanzig oder dreißig Minuten, bis die Gruppe der Männer aus dem Turm herauskam. Kate strengte sich an, konnte das Baby aber eine ganze Weile nicht sehen. Haben sie ihn da drinnen gelassen? Ist jemand oder etwas bei ihm? Ihr Herz klopfte. Dann sah sie den fünften Mann in der Prozession, der linkisch etwas trug, und konnte das rote Bündel auf den rotverhüllten Armen erkennen.
Die Leute auf dem Hof machten Platz, bildeten eine Gasse durch die Menge, und Kates Sicht wurde wieder versperrt. Sie hatte sich noch nie so überflüssig und nutzlos gefühlt.
Jetzt bildeten die Wachen in Schwarz einen Kordon um den rotweiß gestreiften Helikopter. Ein Anlasser stotterte, die Rotoren drehten sich langsam, die Menge wich instinktiv zurück und bildete einen größeren Kreis um die Maschine. Kate sah, wie die Türen hinter mehreren VIPs in Rot ins Schloß fielen, dann hallte der Lärm des Motors über das Palastgelände, die Rotoren verschwammen, der Helikopter erbebte, schien sich auf den Kufen nach vorn zu neigen, stieg in die Höhe und entfernte sich schnell mit blinkenden Navigationslichtern über die Bäume hinweg nach Norden. Die Menge sah den Lichtern nach, bis diese in den Wolken verschwanden, dann strömten die Männer zu ihren Limousinen zurück, Chauffeure hielten Türen auf, Wachen schnellten in Habtachtstellung.
»War das ein Helikopter der Regierung?« flüsterte Kate. Sie fragte sich, ob er nach Bukarest zurück flog. Er war Richtung Nordwesten geflogen, weg von der Hauptstadt, als er in den tief hängenden Wolken verschwunden war.
»Es war ein Jet-Ranger amerikanischer Bauart«, flüsterte O'Rourke. »Ich habe keine Ahnung, was für Hubschrauber die Regierung benützt, aber es würde mich wundern, wenn es amerikanische wären. Ich vermute, daß es sich um eine Privatmaschine handelt.«
Kate nickte. Es überraschte sie nicht, daß O'Rourke die Maschine identifizieren konnte: Männer schienen stolz darauf zu sein, daß sie von jeder Maschine den richtigen Namen kannten - besonders von Flugzeugen und Kriegsmaschinen. Kate wünschte sich, sie hätte jedesmal einen Dollar bekommen, wenn sie mit Tom einen albernen Kriegsfilm im Kabelfernsehen ansah und der etwas sagte wie: »Sieh dir das an! Das soll ein alter Sherman-Panzer sein, aber sie haben einen M-60 genommen.« Oder: »Glauben Sie wirklich, daß wir eine F-5 nicht von einer MiG-29 unterscheiden können?« Für Kate war das alles Unsinn. Sie glaubte, daß Jungs diese Nebensächlichkeiten lernten, weil sie gerne Modelle bauten und nie über den Stolz hinauswuchsen, den sie empfanden, wenn sie exotische Maschinen beim Namen nennen konnten.
Aber da sie sich weiter unterhalten wollte, während die Innenhöfe sich leerten und die letzten Wachen sich von der Kapelle entfernten, weil ihr die Brust vor Schmerz und Hilflosigkeit weh tat, flüsterte Kate müßig: »Woher weißt du, daß es ein ... wiehießernoch ... ein Jet-Ranger war?«
O'Rourke überraschte sie. »Weil ich schon einen geflogen habe.«
Sie sah ihn im spärlichen Licht an. Sein
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