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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Pfeile in die Brust. Ich brach sie ab und hielt sie im Licht der Fackeln und Brandsätze hoch, um meine Männer anzuspornen. Die geheime heilende Kraft, die mich von Geburt an von gewöhnlichen Sterbenden unterschied, war da schon stärker in mir. Und ich hatte eine Stunde vor Beginn des Kampfes an dem Sakrament teilgenommen. Ich hörte den Ruf »Fürst Dracula kann nicht sterben!«, und dann eilten meine überlebenden Bojaren an meine Seite, wir bildeten einen Panzer mit Schild und Klingen und erkämpften uns einen Weg aus diesem Wahnsinn hinaus.
    Der Sultan kehrte zu seiner Armee zurück. Manche behaupten, daß er von seinen Generälen und meinem Bruder Radu ins Lager zurückgezerrt werden mußte.
    In jener Nacht trank ich sein warmes Blut nicht.
    In meinem Zorn befahl ich Gales, den feigen Kommandanten, eine Stunde vor Sonnenaufgang in mein Feldherrenzelt. Meine Wachen entwaffneten ihn, zogen ihn aus, banden ihm die Arme hinter den Rücken und hängten ihn an dem großen Kardanring aus Eisen auf, den ich auf alle unsere Feldzüge mitnehmen ließ. Dann machte ich mich, noch vom Ruß und Blut der Schlacht besudelt und mit schlimmen Schmerzen in der Brust, an die Arbeit.
    Meine einzigen Werkzeuge waren eine Ahle, ein Korkenzie her und das Rasiermesser meines Vaters aus dem feinsten Stahl ganz Europas. Sie reichten aus. Ich trank aus seinem lebenden Körper, bis die Sonne aufging, dann schlief ich, stand auf, gab Befehle für den Rückmarsch nach Tîrgovişte, kehrte zurück und tat mi ch bis Sonnenuntergang dieses Tages an ihm gütlich. Es steht geschrieben, daß die Türken die Schreie des Feiglings an diesem Tag vierzig Meilen entfernt hörten.
    In Tîrgovişte bereiteten wir uns auf eine Belagerung von einem Jahr oder länger vor. Die Stadt war abgeriegelt, die neu gebauten Türme und Mauern bemannt, die Kanonen eingeschossen, Vieh und Geflügel in die Festung getrieben, unterirdische Flüsse wurden durch das geheime Abwassersystem, das ich erbauen ließ, in die Stadt geleitet. Sultan Mehmeds Pöbel und der habgierige Radu kamen.
    Sie blieben siebenundzwanzig Meilen vor unseren Toren. Mehmed und seine Männer hatten Hunderte Wälder durchquert, um die Vorgebirge der Karpaten und die Tore von Tîrgovişte zu erreichen, aber an diesem Morgen trafen sie au f einen neuen Wald, vor dem sie Rast machten, bevor sie ihn durchquerten.
    Im vergangenen Winter hatte ich beim Feldzug gegen die Türken Tausende meiner Widersacher getötet. Ich achtete sorgsam darauf, die genaue Zahl der getöteten Ottomanen im Überblick zu behalten, daher hatte ich meinen bojarischen Befehlshabern den Auftrag erteilt, den Gefallenen die Köpfe abzuschneiden und sie nach Hause zu bringen, wo man sie leichter zählen konnte. Im Februar beschwerten sich die Soldaten: zu viele Köpfe, zu viele schwere, tropfende Säcke. Am Ende des Feldzugs ließ ich die Köpfe zählen, machte eine gründliche Inventur und schnitt ihnen die Nasen und Ohren ab, die ich meinem Freund und zeitweiligen Verbündeten, König Matthias Corvinus von Ungarn, schickte. Er hat nie auf meinen Brief und das Geschenk geantwortet, aber ich weiß, daß er beeindruckt gewesen sein muß.
    Selbstverständlich machten wir Tausende türkische Gefangene während des Feldzugs. In der Juniwoche, als Mehmed auf die Tore meiner Hauptstadt vorrückte, befanden sich mehr als dreiundzwanzigtausend Gefangene in unseren Zelten und Verliesen.
    Als Mehmeds gewaltige, aber erschöpfte und ausgehungerte Armee nun wütend den morgendlichen Marsch von rund siebenundzwanzig Meilen dem sicheren Sieg bei Tîrgovişte entgegen begann, hielten sie vor dem Wald an, der auf meinen Befehl hin errichtet worden war. Einem Wald aus rund dreiundzwanzigtausend gepfählten Türken, von denen manche noch im Morgenlicht zappelten.
    Die Leichen der Lieblingsbefehlshaber und Freunde des Sultans, die er zu retten gehofft hatte, hingen an höheren Pfählen, darunter Hamza Pascha und der legendäre Grieche Thomas Catavolinos.
    Der Speichellecker und Chronist des Sultans, Laonicus Chalcondyles, hat über diesen Morgen geschrieben: »Der Kaiser, überwältigt von dem Anblicke, der sich ihm darbot, sagte, er könne einem Mann, der derart erstaunliche Dinge vollbringen und in dieser Weise seine Herrschaft ausüben und mit seinen Untertanen verfahren konnte, das Land nicht wegnehmen, denn gewiß sei ein Mann, der dies zustande brächte, größerer Taten wert.«
    So schrieb Chalcondyles. Aber Chalcondyles log mit Sicherheit,

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