Kinder der Nacht
daß sich die Balken bogen. Hätten wir an diesem Morgen dabeisein können, und ich war dabei und beobachtete alles vom Rücken eines Pferdes keine halbe Meile entfernt, so hätten wir eine demoralisierte Armee gesehen, die kehrtmachte und sich vom Gestank des Todes abwandte, der von meinem neuen Wald emporstieg. Und wir hätten ihren erschütterten Sultan sehen können, der sich beinahe in die seidenen Pumphosen machte. Und wir hätten gesehen, wie er seinen Männern befahl, in Sichtweite dieses Waldes das Lager aufzuschlagen, als könnten sie nicht abziehen oder die Blicke abwenden, und bevor die dunkle Nacht kam, hatten sie einen Graben rings um ihre feige Armee ausgehoben, tiefer als die Donau, und tausend Feuer entfacht, um mich fernzuhalten. Ich glaube, in jener Nacht hätte ich in ihr Lager spazieren, »Buh!« sagen und miterleben können, wie die ganze Armee von Grausen gepackt geflohen wäre.
Sultan Mehmed und s eine Gruppe wandten sich am nächsten Morgen von Tîrgovişte ab und begannen ihren langen Marsch zurück nach Braila, zu ihrer Flotte und ihrem verfluchten Heimatland. Meine Spione meldeten, daß die Armee des Nachts in Adrianopel einmarschierte, damit die Bev ölkerung ihre Schmach nicht sehen sollte, und daß die einstmals stolzen Legionen von Anatoliern, Rumeliern, Arabern und Janitscharen nichts weiter als verfaultes Hundefleisch waren, als der Sultan nach Konstantinopel zurückgekehrt war. Aber der Sultan befahl, daß sein brillanter Sieg über Dracula im ganzen Land gefeiert werden sollte.
Soviel zu den Siegen des Islam, denke ich, während ich zuhöre, wie die zu Besuch weilenden Familienmitglieder und emsigen Kammerzofen von Kriegen an entlegenen Orten sprechen.
Kapitel 31
Kate wäre zu Joshua auf den überfüllten Innenhof des Palastes hinausgelaufen, wenn O'Rourke sie nicht zurückgehalten hätte. Zwischen ihnen und dem Chindia-Turm, wo das Baby hingebracht worden war, waren mindestens hundert vermummte Strigoi zu sehen, aber Kate hätte dennoch versucht, den Platz zu überqueren, hätte O'Rourke sie nicht festgehalten und dann einfach in die Arme genommen.
»Wir können jetzt gar nichts machen«, flüsterte er. Wachen standen keine zehn Meter von der Tür der Kapelle entfernt. »Wir beobachten nur, wohin sie ihn bringen.«
Kate krallte sich mit beiden Fäusten in sein zerrissenes Hemd. »Können wir ihnen folgen?«
O'Rourke schwieg, und sie wußte die Antwort selbst: Es würde zu lange dauern, durch den Tunnel zurückzukriechen, sie wußten nicht, mit welchem Mercedes das Kind gebracht worden war, und die Wachen würden auf jeden achten, der ihren Herren, den Strigoi, folgte. Kate hämmerte mit den Fäusten auf O'Rourkes Brust. »Das ist so ... nervtötend.« Sie holte tief Luft, um die Tränen zurückzuhalten, dann beobachtete sie weiter den Turm und hoffte darauf, noch einen Blick auf ihren Sohn werfen zu können.
Der Chindia-Turm war ein fünfundzwanzig bis dreißig Meter hoher Turm aus Stein, quadratisch am Fundament, aber weiter oben wurde er rund, mit eingefaßten Schießscharten ganz oben. Der Turm sah im Licht der Fackeln für Kate wie eine Spielfigur aus, die vom Schachbrett geflohen war. An der Seite konnte sie zwei Bogenfenster ausmachen, jedes mehr als mannsgroß, und einen Balkon aus Stein und Schmiedeeisen vor einem Fenster, rund zwölf Meter hoch. Sie bemerkte einen Riß, der vom breiten Fundament bis unter die Schießscharten verlief, häßliche Eisenstangen hielten Stein und Ziegel zusammen wie gigantische Klammern.
O'Rourke bemerkte ihren Blick. »Der stammt von einem Erdbeben vor ein paar Jahren«, flüsterte er. »Seither ist der Turm für Touristen geschlossen. Ceauşescu hat die Mittel für die Renovierung bereitgestellt, aber sie wurde nie durchgeführt.«
Kate nickte zerstreut. Sie wußte, daß O'Rourke versuchte, sie von der schrecklichen Gefahr abzulenken, in der Joshua schwebte. Und wenn sie ihn jetzt schon heute nacht Menschenblut trinken lassen? Möglicherweise hatten sie es schon getan. Sie hatten das Baby auf Şnagov nicht gesehen, aber da hatte sie eine ganze Menge nicht gesehen.
Die Menge der rotvermummten Gestalten entfernte sich langsam von der Kapelle und den Palastruinen und versammelte sich um den Chindia-Turm. Musik ertönte, als würde eine Kapelle spielen, und dann sah Kate das tragbare Tonbandgerät, Verstärker und Lautsprecher nicht weit von dem gelandeten Helikopter und den parkenden Limousinen entfernt. Die Musik klang vage
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