Kinder der Nacht
Polizeistuben der Ortschaften standen.
Die Polizisten sahen nicht einmal auf, als das Motorrad durch Fieni rumpelte, eine durch und durch rußgeschwärzte Industriestadt. O'Rourke hielt sich peinlich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzungen.
»In Braşov müssen wir tanken!« rief er.
Kate nickte und ließ das schwankende Fahrrad nicht aus den Augen, das gerade vor dem Pferdekarren vor ihnen zu erkennen war.
Es war nicht die Zeit, die Augen zuzumachen und das Sonnenlicht zu genießen.
Als sie das Bergdorf Moroeni hinter sich gelassen hatten, verschwand der Verkehr auf geheimnisvolle Weise, die kurvige Straße war verlassen, es kühlte spürbar ab, und nur die wenigsten Bäume hatten noch Laub. Kate fragte, ob sie das Motorrad eine Weile fahren könne.
»Hast du es schon einmal gemacht?«
»Tom hat mich mit seiner 360er Yamaha fahren lassen«, sagte sie selbstbewußt. Einmal. Eine kurze Strecke. Langsam. Aber sie konnte gut mit Maschinen umgehen und hatte O'Rourke genau beobachtet.
O'Rourke fuhr auf den Schotterstreifen, wo die Serpentinen der Straße anfingen, parkte und stieg ab. Er ließ den Motor im Leerlauf. »Paß auf die Kupplung auf«, sagte er. »Die ist im Eimer. Kein nennenswerter zweiter Gang.« Er hinkte zum Seitenwagen, während Kate aufstand und sich streckte.
Er hat Schmerzen, dachte sie. Es war eine Qual für ihn, dieses Ding mit dem Kupplungspedal und allem zu fahren. Sie nahm auf dem Fahrersitz Platz, wartete, bis O'Rourke sich gesetzt hatte, und startete mit ein bißchen zuviel Gas.
Das uralte Motorrad versuchte samt Seitenwagen eine Drehung, O'Rourke gab einen kurzen, ausgesprochen seltsamen Laut von sich, Kate verhinderte es etwas vorschnell, indem sie den Bremsgriff so fest zog, daß O'Rourke mit dem Kopf gegen den Windschutz aus Plastik prallte und sie fast aus dem Sattel geworfen worden wäre; sie beschloß, gleich in den dritten Gang zu schalten, verfehlte ihn ein paarmal, setzte die Maschine aufheulend im ersten wieder in Bewegung, sah gerade noch rechtzeitig auf, um zu vermeiden, über den Felsrand zu fahren, brauchte die ganze Breite der Straße, um sich wieder zu erholen, und dann bekam sie die Maschine auf die rechte Seite, fuhr mit der richtigen Geschwindigkeit und mit der richtigen Ruhe. Fast.
»Jetzt hab ich's«, sagte sie, schaltete die Gänge mit dem Fuß und stemmte sich gegen den Wind.
O'Rourke nickte und rieb sich den Kopf.
Die Autobahn überquerte einen hohen Paß bei Sinaia, und als Kate die Kuppe erreichte, hatte sie sich mit dem Motorrad geeinigt.
»Halt an!« rief O'Rourke und deutete auf einen schmalen Betonstreifen auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Kate nickte, lenkte, stellte fest, daß sie noch gar nicht mit der Bremse geübt hatte - wo war die eigentlich? -, fand sie und zog sie fest genug, daß das Schlittern sie nicht über den Felsrand hinaus beförderte. Nicht ganz. Das Motorrad hatte sich während der Bremsphase gedreht, und als Staub und fliegende Geröllbrocken sich gelegt hatten, standen sie in Bergabrichtung und O'Rourke und der Seitenwagen hingen über Baumwipfeln und Felsen.
Er zog langsam die Brille ab und rieb sich Staub aus den Augen. »Ich wollte nur die Aussicht bewundern«, sagte er leise über das Knattern des Motors hinweg.
Kate mußte zugeben, daß es sich lohnte, wegen der Aussicht anzuhalten. Im Norden und Westen ging das Bucegi-Massiv der Karpaten in das schneebedeckte Făgăraş-Massiv über, das sich an der Stelle, wo der Horizont verschwamm, nach Süden krümmte. Auf den höchsten Vorbergen unter den schneebedeckten Ebenen wuchsen robuster Wacholder und Krüppelkiefern, die mittleren Regionen leuchteten grün von Pinien und Fichten, die flacheren Hügel waren von weißen Birken gefleckt, und die Täler meilenweit unten erstrahlten in der Farbenpracht von Eichen, Holunder, Ulmen und Sumach. Wolken brodelten von Norden und Westen heran, aber die Sonne schien noch hell genug, daß ihre Schatten über Kalksteinhänge in die bewaldeten Täler darunter fielen. Abgesehen von einem winzigen Straßenabschnitt hinter ihnen, war keine Spur von Menschenwerk zu sehen. Keine. Soweit Kates Auge reichte kein Schornstein, kein Dach, kein Smog, kein Flugzeug, keine Fernsehantennen im Westen und Süden. In einem Land, das sich verächtlich über jegliche Umweltbedenken hinwegsetzte, sah sie hier zum ersten Mal die Schönheit der Landschaft.
»Wunderschön«, sagte sie und war wütend auf sich selbst wegen des Klischees, wußte aber
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