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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Eindringling geschossen, als er zum ersten Mal in dein Haus in Colorado eingedrungen ist«, sagte O'Rourke. »Auf den Strigoi. Aber du hast ihn nicht getötet.«
    »Ich habe es versucht«, sagte Kate. »Sein Körper erholte sich wieder, weil ...«
    »Ich weiß, ich weiß.« Der Druck von O'Rourkes Arm war tröstlich, nicht herablassend. »Ich wollte damit sagen, bis jetzt hast du noch niemanden getötet. Das mußt du aber vielleicht, wenn wir unsere Suche fortsetzen. Kannst du es?«
    »Ja«, sagte Kate nüchtern. »Wenn Joshuas Leben und seine Freiheit davon abhängen.« Oder deines, fügte sie stumm hinzu und sah ihm in die Augen.
    O'Rourke aß das Brot zu Ende und trank einen Schluck Wein. Einen schwindelerregenden Augenblick fragte sich Kate, wie oft dieser Mann - ihr Liebhaber - die Messe gelesen und die Eucharistie für die Kommunion vorbereitet hatte. Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich werde niemanden töten«, sagte er leise. »Nicht einmal, um den Menschen zu retten, der mir am meisten auf der Welt bedeutet. Nicht einmal, wenn dein Leben davon abhängen würde, Kate.«
    Kate sah die Traurigkeit in ihm. »Aber ...«
    »Ich habe schon Menschen getötet, Kate. Sogar in Vietnam, wo keiner der bekannten Gründe noch einen Sinn ergab, gab es immer einen Grund zu töten. Um am Leben zu bleiben. Um die Kameraden am Leben zu erhalten. Weil man angegriffen wurde. Weil man Angst hatte ...« Er betrachtete seine Hände. »Keiner dieser Gründe ist gut genug, Kate. Nicht mehr. Nicht für mich.«
    Zum ersten Mal, seit sie den Priester - Ex-Priester - gesehen hatte, wußte sie nicht, was sie sagen sollte.
    Er versuchte zu lächeln. »Du hast dir für dieses Unternehmen den schlechtesten nur denkbaren Partner ausgesucht, Kate. Zumindest wenn es darum geht, Menschen zu töten.« Er holte tief Luft. »Und ich glaube, darauf wird es hinauslaufen.«
    Kates Blick war starr. »Und du meinst, daß diese ... diese Strigoi Menschen sind?«
    Er bewegte den Kopf fast unmerklich hin und her. »Nein. Aber ich war auch nicht sicher, ob die Schatten in Vietnam Menschen waren. Sie waren Schlitzaugen.«
    »Aber das war etwas anderes.«
    »Vielleicht«, sagte O'Rourke und begann, ihren bescheidenen Picknickplatz aufzuräumen. »Aber selbst wenn die Strigoi so sehr von menschlichen Empfindungen entfremdet sind, daß man sie als eine andere Rasse betrachten kann - was ich nicht glauben werde, bis ich weitere Beweise gesehen habe -, reicht es nicht aus. Für mich nicht.«
    Kate stand auf und wischte sich den Rock ab. Sie zog die Jacke über den Pullover. Der Wind war jetzt kälter, der Himmel grauer. Der kurze Rückfall in den Herbst war vorbei, der Winter wehte wieder von den Karpaten herab.
    »Aber du wirst mir helfen, Joshua zu finden«, sagte sie.
    »O ja.«
    »Und du wirst mir helfen, ihn aus diesem ... Land zu bringen.«
    »Ja«, sagte er. Er mußte sie nicht an die Polizei, das Militär, die Grenzwachen, die Informanten, die Luftwaffe, die Securitate erinnern - die allesamt die Befehle derer befolgten, die ihre Befehle wiederum von den Strigoi erhielten.
    »Mehr verlange ich nicht«, sagte Kate aufrichtig. Sie berührte ihn am Arm. »Wir sollten uns lieber auf den Weg machen, wenn wir wirklich noch hundert Meilen vor uns haben, bis wir nach Sighişoara kommen.«
    »Auf der Autobahn geht es schneller«, sagte O'Rourke. Er zögerte. »Möchtest du noch eine Weile fahren?«
    Kate überlegte nur einen Augenblick. »Ja«, sagte sie. »Ja, ich will.«
     
    Die Straße vom Paß hinunter bestand aus einer Reihe haarsträubender Serpentinen, aber Kate hatte es inzwischen raus, wie sie mit dem Motorrad umgehen mußte, und sie nutzte die Kompression der unteren Gänge aus, damit die Bremsen nicht überhitzten. O'Rourke hatte zweimal den Benzintank überprüft und war der Meinung, es müßte bis Braşov reichen, aber die Unsicherheit machte Kate nervös.
    Auf diesem steilen Abschnitt der Straße herrschte überhaupt kein Verkehr, und Kate sah nur eine Handvoll Hütten weit entfernt unter Pinien. Dann erreichten sie den Stadtrand von Sinaia, wo die Häuser dichter standen und größer waren, offenbar Landhäuser der privilegierten Nomenklatura - den Parteiapparatschniks und belächelten Bürokraten, die zusätzliche Brosamen vom Staat verdienten. Sinaia selbst sah wie ein typisches osteuropäisches Touristikzentrum aus - große, alte Hotels und Anwesen, die vor hundert Jahren prunkvolle Stätten gewesen, seither aber nicht mehr renoviert worden waren,

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