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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Hochebene, die stellenweise noch grün war, vergleichsweise frei von Bäumen, abgesehen von einigen dichten Hainen auf Gipfeln, und von Pässen durchzogen, die die schneebedeckten Massive der Făgăraş- und Bucegi-Berge im Süden mit der namenlosen Gebirgswildnis verbanden, die sich, soweit Kates Auge reichte, nach Norden erstreckte. Der Helikopter flog über steigende Hochebenen hinweg, manchmal über die verfallenen Ruinen einer Burg oder über riesige Abteien aus Stein, die aussahen, als hätte sie seit Jahrhunderten niemand mehr besucht, und über mittelalterliche Festungen, die auf Gipfeln und Hängen thronten und das Tal darunter beherrschten. Es gab einige Gehöfte in diesem Tal, bei denen es sich ausnahmslos um kollektive Monstrositäten handelte, die nichts weiter als Anhäufungen von langgezogenen Stallungen und Backsteinhäusern zu sein schienen. Dörfer waren kaum zu sehen, und wenn, waren sie winzig. Das restliche Panorama bestand aus Wäldern, Berghängen, steilen Klüften, in denen tiefhängende Wolken brodelten, und uralten Ruinen. Alles war dramatisch und wunderschön.
    Kate Neuman lag nicht das geringste an der Aussicht.
    Sie und O'Rourke saßen auf einer gepolsterten Bank im hinteren Teil der Kabine des Jet-Ranger und hatten die schmerzenden Handgelenke auf dem Rücken gebunden. Niemand hatte ihnen Sicherheitsgurte angelegt, und die Böen, Aufwinde, Windstöße und anderen Unannehmlichkeiten von Kleinflugzeugen schüttelten sie unangenehm durch. Besonders Kate verabscheute das schwindelerregende Gefühl, wenn der Helikopter plötzlich absackte und sie vom Sitz gehoben wurde. Achterbahnen hatte sie immer gehaßt.
    Niemand sagte etwas. Der Lärm der Maschinen und Rotoren war so überwältigend, daß eine Unterhaltung nicht möglich gewesen wäre, selbst wenn das jemand gewollt hätte. Radu Fortuna saß auf dem vorderen rechten Sitz, wo normalerweise der Copilot sitzen würde, Lucian hatte sich auf einem Notsitz hinter dem Piloten festgeschnallt, Gesicht nach hinten, und der dunkle Mann, den Kate nur als den Eindringling bezeichnete, saß zwischen O'Rourke und ihr. Der Mann war sicher angeschnallt. Lucian sah mit seinem gelassenen, fast zerstreuten Ausdruck zum rechten Fenster hinaus. Kate versuchte, ihn nicht anzusehen. Ihr Verstand wirbelte durcheinander, aber sie fand keine Antwort, keine ausgefeilten Pläne und kaum Hoffnung, an die sie sich klammern konnte.
    Der Helikopter kippte nach links, Kate erschrak, als sie hilflos gegen den Strigoi -Eindringling rutschte - der nach Moschus und Schweiß roch -, und dann flogen sie ein schmaleres Tal mit höheren Gipfeln auf beiden Seiten entlang. Das dünne Band einer Straße verlief unten an einem anderen Fluß entlang. Das Dröhnen von Maschinen und Rotoren machte Kates Kopfschmerzen fast unerträglich. Ihr linker Arm, bandagiert und schmerzend, pochte im Einklang mit ihrer Migräne.
    Radu Fortuna hatte ein Funksprechgerät übergestülpt, jetzt schob er einen Kopfhörer herunter, hielt die Hand auf das Mikrofon, drehte sich auf dem Sitz herum und rief: »Sighişoara.«
    Kate sah mit blicklosen Augen starr geradeaus.
    Die Stadt sah wie ein Ort aus dem Märchen aus: sie kauerte an einem kleinen Berg inmitten von höheren Gipfeln, war von einer hohen Stadtmauer mit Zinnen umgeben, die Steilhänge waren mit Wehrtürmen, steilen Schieferdächern, Kopfsteinpflasterstraßen, überdachten Fußwegen und hohen braunen und gelben Wohnhäusern bedeckt, die vor fast tausend Jahren erbaut worden waren.
    Dann kippte der Hubschrauber wieder, und Kate konnte einen Blick auf die sozialistische Wirklichkeit des ›neuen Sighişoara‹ werfen. Industriekomplexe am Stadtrand, eine Autobahn, gesäumt von billigen Schlackesteinwohnhäusern, und einige Villen der Nomenklatura, die fett und arrogant auf gegenüberliegenden Berghängen thronten. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Städten in Rumänien konnte dieses Eindringen von Nachkriegshäßlichkeit der Atmosphäre des mittelalterlichen Stadtkerns keinen Abbruch tun. Die gesamte Altstadt mußte noch genau so aussehen wie zu der Zeit, 1431, als Vlad Ţepeşs Vater zum ersten Mal in die Stadt geritten war und sie zu seiner Hauptstadt gemacht hatte.
    Der Helikopter kippte wieder, und dieses Mal sah Kate die Militärfahrzeuge am Straßenrand, die Polizeiautos an den Straßensperren und die fast vollkommene Abwesenheit von Fahrzeugen innerhalb der Stadt.
    »Sie sehen, es wäre ungebetenen Gästen nicht leicht gefallen, uns

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