Kinder der Nacht
es gehörte auch das Bakschisch für den Tankwart dazu (niemals der Tankstellenbesitzer, und nicht selten eine Frau mit sechs Schichten Mänteln und einem schmutzigen Overall).
Braşov selbst war eine einstmals wunderschöne mittelalterliche Stadt, die mit Industrie, Mietskasernen der Stalin-Ära, halb fertiggestellten Bauprojekten Ceauşescus, aufgegebenen Systematisierungsprojekten und noch mehr Industrie, gleich Muscheln an einem gesunkenen Schiff, verunstaltet worden war. Es wäre sicher möglich gewesen, einige Straßen oder Panoramen mit einstiger Schönheit zu finden, aber Kate und O'Rourke gelang das während ihrer Fahrt auf der hektischen Calea Bucureştilor und dem Boulevard Calea Făgăraşului, wo sie die Autobahn Sibiu-Sighişoara und die auf der Karte versprochenen Tankstellen suchte, eindeutig nicht.
Eine Tankstelle war geschlossen und halb verfallen, Fensterscheiben eingeschlagen und Zapfsäulen zerstört. Die andere, unmittelbar an der Ausfahrt vom Boulevard zur Autobahn Sibiu-Sighişoara, wurde von einer Schlange belagert, die sich über eine Meile bis in den Stadtbezirk hinein erstreckte.
»Merde«, flüsterte O'Rourke. Dann: »Wir können nicht warten. Wir müssen es an der ComTourist-Zapfsäule versuchen.«
Ein dicker Mann im fleckigen Overall kam heraus und sah sie mit verkniffenen Augen an. Kate beschloß, sich in dem Seitenwagen zu ducken und möglichst unsichtbar zu machen, während O'Rourke sich um alles kümmerte; in Rumänien war kaum etwas auffälliger als eine Frau aus dem Westen, die das Ruder in der Hand hatte.
»Da?« sagte der Geschäftsführer, der sich die Hände an einem fettigen Tuch abwischte. »Pot sa te ajut?«
»Ja«, sagte O'Rourke, dessen Verhalten plötzlich selbstbewußt und ein wenig arrogant war. »Sprechen Sie Deutsch? Ah ... vorbiţi germana?«
»Nu« , sagte der Mann. Hinter ihnen pumpte eine Frau in mehreren Jacken Benzin in den Tank des ersten Autos der Schlange, die sich buchstäblich bis zum Horizont erstreckte. Alle beobachteten den Wortwechsel bei der ComTourist-Zapfsäule.
»Scheiße«, sagte O'Rourke offenbar verdrossen. Er drehte sich zu Kate um. »Er spricht kein Deutsch.« Er wandte sich wieder an den Geschäftsführer und sprach mit lauterer Stimme weiter. »Äh ... de benzină ... äh ... Faceţi plinul, vă rog.«
Kate verstand soviel Rumänisch, daß sie entnehmen konnte: »Volltanken, bitte.«
Der Geschäftsführer sah sie an, dann wieder O'Rourke. »Chitanta?Cupon pentru benzină?«
O'Rourke blickte zuerst verständnislos drein, dann zog er einen amerikanischen Zwanzigdollarschein aus der Tasche. Der Geschäftsführer nahm ihn, sah aber alles andere als glücklich aus. Und er öffnete auch nicht das schwere Vorhängeschloß an der Zapfsäule. Er hielt einen öligen Finger hoch und sagte: »Bitte ... Sie ... hier ... bleiben«, und ging in seine Tankstelle zurück.
»O-oh«, sagte Kate.
O'Rourke sagte nichts. Er stieg wieder auf das Motorrad, ließ den Motor an und fuhr langsam weiter. Aller Augen beobachteten sie aus den Autos, als sie in die Stadt zurückfuhren. »Dumm, dumm, dumm«, sagte O'Rourke zu sich selbst.
»Fahren wir nicht in die falsche Richtung?« fragte Kate.
»Ja.« Er fuhr zur Hauptstraße zurück, wandte sich am Kreisverkehr nach rechts, gab Gas und mischte sich zwischen den Schwerverkehr Richtung Südwest. Auf einem Straßenschild stand RÎŞNOV 13 KM.
»Wollen wir nach Rîşnov?« rief Kate über das Klappern und Rattern hinweg.
»Nein.«
»Haben wir genügend Benzin bis Sighişoara?«
»Nein.«
Kate stellte keine Fragen mehr. Am Stadtrand von Braşov zweigte eine andere Straße nach Nordwesten ab, und O'Rourke nahm die. Ein Kilometerstein trug die Aufschrift FĂGĂRAŞ. O'Rourke fuhr an den Straßenrand, dann studierten sie die Karte. »Wenn wir auf der Straße Sibiu-Sighişoara weitergefahren wären, hätte uns diese fette Kröte die Polizei hinterherschicken können«, sagte er. »Jetzt suchen sie möglicherweise erst im Süden, bevor sie den Norden durchkämmen. Verdammt.«
»Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Kate. »Wir brauchen das Benzin.«
O'Rourke schüttelte wütend den Kopf. »In diesem Land gehört es zum Alltag, daß einem das Benzin ausgeht. Dacias haben kleine Pumpen unter der Haube eingebaut, damit die Leute einen oder zwei Liter in liegengebliebene Fahrzeuge pumpen können. Alle haben Literkanister im Kofferraum liegen. Ich war ein Idiot.«
»Nein, warst du nicht«, sagte Kate. »Du hast nur
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