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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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in amerikanischen Verhältnissen gedacht. Wenn einem das Benzin ausgeht, fährt man eine Tankstelle an. Habe ich auch gedacht.«
    O'Rourke strich die Karte am Rand der Windschutzscheibe glatt und deutete mit dem Finger. »Ich glaube, wir kommen auch auf diesem Weg hin. Schau her ... wir bleiben auf der Autobahn 1 bis zu diesem Dorf ... hier, Şercaia, etwa fünfzehn Klicks diesseits des Făgăraş ... und dann nehmen wir diese Nebenstraße zur Autobahn dreizehn, und dann direkt nach Sighişoara.«
    Kate studierte die dünne rote Linie zwischen den beiden Autobahnen. »Diese Straße dürfte in einem schlimmeren Zustand sein als der Trampelpfad über die Berge.«
    »Ja ... und nicht so befahren. Aber es liegen keine Hochpässe auf dem Weg. Sollen wir es versuchen?«
    »Haben wir eine andere Wahl?« fragte Kate.
    »Eigentlich nicht.«
    »Dann mal los«, sagte sie und hörte Lucians Tonfall in dem Ausdruck. »Vielleicht haben wir Glück und finden noch eine Tankstelle.«
     
    Sie hatten kein Glück. Dem Motorrad ging das Benzin etwa sechs Meilen nördlich von Şercaia entfernt auf einer Sand- und Schotterstraße aus, die auf der Karte als dicke rote Linie eingezeichnet war. Seit sie von der Autobahn abgebogen waren, herrschte überhaupt kein Verkehr mehr, und sie hatten keine Häuser gesehen, abgesehen von einer großen Kolchose, aber jetzt sahen sie ein einsames Haus etwa eine Viertelmeile voraus, nur ein kleines Stück abseits der Straße hinter einem Zaun, an dem sich vertrocknete Reben wilden Weins rankten. Kate stieg aus und ging zu Fuß, während O'Rourke das schwere Motorrad samt Seitenwagen die Strecke auf der Straße schob.
    »Verflucht noch mal«, sagte er schließlich und schüttelte das Motorrad, damit er es durch eine Schlammlache brachte. »Hoffen wir, daß sie einen Literkanister benzină haben.«
    Eine alte Frau stand vor dem Tor und sah ihnen entgegen. »Bună dimineaţal« sagte O'Rourke.
    »Bună ziua«, antwortete die alte Frau. Kate fiel auf, daß sie ›Guten Tag‹ und nicht ›Guten Morgen‹ gesagt hatte. Sie sah auf die Uhr. Es war fast eins.
    »Vorbiţi engleză? Germana? Franceza? Maghiar? Roman?« sagte O'Rourke, der sich lässig hinstellte.
    Die alte Frau sah sie weiter an und verzog ab und zu die zahnlosen Kiefer zu etwas, das ein Lächeln sein konnte.
    »Egal«, sagte er und lächelte jungenhaft. »Imi puteţi spune, vă rog, unde este e cea mal apropiabă staţie de benzină?«
    Die alte Frau sah ihn blinzelnd an und hob die leeren Hände. Sie wirkte nervös.
    »Simtem doar turişti«, sagte O'Rourke beruhigend. »Noi călătorim prin Transilvania ... « Er grinste und deutete auf das Motorrad am Straßenrand. »... de benzină.«
    Als die alte Frau sprach, klang ihre Stimme wie Altmetall, das auf Metall knirscht. »Eşti insetat?«
    O'Rourke blinzelte und drehte sich zu Kate um. »Hast du Durst?«
    Kate mußte nicht lange nachdenken. »Ja«, sagte sie. Sie lächelte der alten Frau zu. »Da! Mulţumesc foarte mult!«
    Sie folgten ihr über das schlammige Grundstück zum Haus.
     
    Das Haus war klein, die Veranda, auf der sie saßen, noch kleiner, und die Tochter oder Enkeltochter der alten Frau, die ihnen Gesellschaft leistete, war so winzig, daß sich Kate grotesk überproportioniert vorkam. Die alte Frau stand unter der Tür und sprach in ihrem krächzenden Schnellfeuergewehrdialekt, während die Tochter oder Enkeltochter hin und her lief, Kissen auf dem schmalen Diwan für sie aufschüttelte, sie zu den Sesseln führte und dann aus dem Zimmer verschwand, um Gläser, eine Flasche Scotch, Tassen, Untertassen und eine Kanne voll Kaffee zu bringen.
    Die jüngere Frau sprach weder Deutsch, Französisch, Englisch, Ungarisch oder einen Zigeunerdialekt, daher versuchten sie alle, sich auf Rumänisch verständlich zu machen, was viel Peinlichkeiten und Gelächter nach sich zog, besonders nachdem die Scotchgläser nachgefüllt worden waren. Diese faßten mehr als die winzigen Kaffeetassen.
    Durch das verballhornte Rumänisch erfuhren sie, daß die alte Frau Ana hieß, die jüngere Marina, daß sie kein benzină hier auf der Farm hatten, aber Marinas Mann bald heimkommen und ihnen sicher gerne zwei Liter Petroleum geben würde, mit dem sie das Motorrad wohlbehalten nach Făgăraş oder Sighişoara, oder Braşov, oder wo immer sie auch hinwollten, bringen würde. Marina schenkte noch Kaffee und dann Scotch ein. Ana stand unter der Tür und grinste zahnlos.
    Marina erkundigte sich in langsamem,

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