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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wie die Jahre seinen Körper.
    Er leckte sich wieder die Lippen, und Kate dachte an eine Echse, die sie einmal beim Sonnen in den Tortugas gesehen hatte. »Sind Sie Doktor Neuman, die Hämatologin von den Centers for Disease Control?« flüsterte er in akzentfreiem Englisch.
    Kate blinzelte überrascht. »Ja.«
    Der alte Mann nickte. Der raubvogelhaft spitze Mund wurde zur Andeutung eines Lächelns verzogen. »Ich bin stolz darauf, daß ich die bedeutendsten Blutspezialisten des Landes kenne.« Er machte eine ganze Weile die Augen zu, und Kate dachte schon, er wäre möglicherweise wieder eingeschlafen, aber dann krächzte seine Stimme wieder. »Fühlen Sie sich wohl hier, Doktor Neuman?«
    Kate hatte keine Ahnung, was ›hier‹ bedeutete - Rumänien? Sein Haus? Die Grube im Turm? -, aber die Antwort wußte sie. »Nein«, sagte sie tonlos. »Mein Kind, mein Freund und ich sind entführt worden, ich wurde von Schurken überfallen und werde im Augenblick gegen meinen Willen festgehalten. Wenn ... falls die amerikanische Botschaft davon erfährt, wird das zu einem ernsten internationalen Zwischenfall führen. Es sei denn ... es sei denn, wir werden auf der Stelle freigelassen.«
    Der alte Mann nickte mit geschlossenen Augen. Es war schwer zu sagen, ob er sie verstanden hatte. »Kennen Sie mich, Doktor Neuman?«
    Kate zögerte. »Sie sind Vernor Deacon Trent.« Es war nicht ganz eine Feststellung.
    »Ich war Vernor Deacon Trent.« Der alte Mann hustete - ein Geräusch, als würden Steine in etwas Hohlem rasseln. »Eine Gefälligkeit, dieser Name. Nach einer Weile empfindet man Raum und Zeit als Hindernisse für die Erinnerung. Man macht immer Fehler.«
    Einer der kahlen Männer im Schatten kam nach vorn, hob Kopf und Schultern des alten Mannes mit grenzenloser Behutsamkeit und half ihm, Wasser aus einem kleinen Glas zu trinken. Als er fertig war, verschwand der Hüne wieder im Schatten.
    »Einer der jungen Dobrins«, flüsterte der alte Mann. »Ihre Vorfahren waren ausgesprochen hilfreich, als ... vergessen Sie es. Was meinen Sie, wird mit Ihnen, dem Kind und dem Priester, mit dem Sie gereist sind, geschehen, Doktor Neuman?«
    Kate machte den Mund auf, um zu sprechen, aber eine plötzliche Angst lähmte ihr Innerstes und ihren Hals. Sie mußte sich setzen. »Ich weiß nicht.«
    Der alte Mann nickte unmerklich mit dem Kopf. »Ich will es Ihnen sagen. Morgen nacht, Doktor Neuman, wird Ihr Adoptivsohn ... mein leiblicher Sohn ... zum Fürsten und zukünftigen Thronfolger einer einzigartigen Familie werden. Morgen nacht wird das Kind den Namen Vlad bekommen und das Sakrament kosten. Und dann wird sich die Familie in hundert Städte in einundzwanzig Ländern verteilen, und der Knabe wird hier zum Mann heranwachsen, während sein ... Onkel ... die weitverzweigten und mannigfaltigen Angelegenheiten der Familie regelt und darauf wartet, daß ich sterbe. Möchten Sie noch etwas wissen, Doktor Neuman?«
    Die Stimme des alten Mannes war immer schwächer geworden, aber seine Augen leuchteten.
    »Warum?« flüsterte sie.
    »Warum was, Doktor Neuman?«
    Kate beugte sich näher zu ihm und flüsterte ebenfalls. »Warum dieses wahnsinnige Ritual? Warum diese Übung in Perversion? Ich kenne Ihr sogenanntes Sakrament. Ich kenne die Krankheit Ihrer Familie. Ich kann sie heilen, Mr. Trent ... kann Sie heilen und Ihnen gleichzeitig Ersatz für das Menschenblut anbieten, das Sie stehlen mußten. Ich kann Sie heilen und Ihnen die Möglichkeit geben, der Menschheit zu helfen, statt sie als Beute auszunutzen.«
    Der Kopf des alten Mannes drehte sich langsam, wie der einer aufziehbaren mechanischen Puppe. Seine Augen blinzelten nicht. »Erzählen Sie«, sagte er.
    Kate verspürte eine Aufwallung von Hoffnung. Sie hielt die Stimme ruhig und unbeteiligt, während die Aufregung in ihrem Innern wuchs. Ich habe etwas, das ich gegen unser Leben eintauschen kann. Gegen das Leben von uns allen.
    Sie erzählte ihm alles: von dem J-Retrovirus, von Chandras Studien, von der Hoffnung auf Heilmethoden für AIDS und Krebs, die der Retrovirus bot, und schließlich von der erfolgreichen Anwendung des menschlichen Hämoglobinsubstituts bei Joshua.
    »... und es funktioniert«, kam sie zum Schluß. »Es stellt die Bausteine zur Verfügung, die erforderlich sind, damit der Retrovirus seine immunrekonstruierende Funktion aufrechterhalten kann, ohne echtes Blut konsumieren zu müssen. Bei regelmäßiger Dosierung kann das Hämoglobinsubstitut intravenös zugeführt

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