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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Mann am Abend zuvor hatten sie ihr die Arme vorn festgebunden, und nicht mehr so fest, daß der Blutkreislauf unterbrochen wurde.
    Ion und zwei kleinere Männer, die alle jene billigen, ausgebeulten Anzüge trugen, die ein Markenzeichen Osteuropas zu sein schienen, führten sie zu einem wartenden Mercedes hinaus. Ein zweites schwarzes Auto stand etwas weiter bergab. Ein kalter Wind wehte von Norden. Radu Fortuna stand mit verschränkten Armen mitten auf der Straße und sah aus, als wäre er äußerst zufrieden mit sich.
    Kate sah auf die Uhr. Es war ein Uhr vierzig. Der frühe Nachmittag hielt jenes trübe Licht bereit, das vom bevorstehenden Winter kündete. Werde ich wirklich keine neue Jahreszeit mehr sehen? Keinen Sonnenaufgang? Muß ich sämtliche Erfahrungen, die mir noch bleiben, in den nächsten zwölf Stunden erdulden ... und dann nichts mehr? Kate schüttelte den Kopf und verdrängte solche Gedanken, bevor sie ihre Brust mit Panik erfüllen konnten. Sie stellte zufrieden fest, daß unter der flatternden Oberfläche der Panik der eiserne Kern der Entschlossenheit erhalten blieb, die sie in der Dunkelheit gefunden hatte.
    »Ich hoffe, Sie haben letzte Nacht gut geschlaft ... nein, geschlafen? ... ja, geschlafen«, strahlte Radu Fortuna.
    Kate sah ihn nur an. Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit auf vier Männer gelenkt, die aus der Richtung eines anderen steinernen Turms hinter der Rasenfläche die Kopfsteinpflasterstraße entlangkamen. Einer von ihnen war Mike O'Rourke. Kate sah zuerst, daß er hinkte; als die vier Männer näher kamen, stellte sie dann fest, daß er von zwei Wachen der Strigoi gestützt wurde. Selbst aus dreißig Schritt Entfernung konnte sie erkennen, daß sein Gesicht zerschlagen, ein Auge zugeschwollen und die Lippen aufgedunsen und blutleer waren.
    O'Rourke sah sie, lächelte durch die geschwollenen Lippen und hob die gefesselten Hände zum Salut. Die Wachen machten die hintere Tür des zweiten Mercedes auf und stießen den Ex-Priester in das Auto. O'Rourke ließ sie, Kate, nicht aus den Augen.
    »Mike!« rief sie und wurde jetzt von ihren eigenen Strigoi- Wachen festgehalten. »Ich liebe dich!«
    O'Rourke wurde auf den Rücksitz gestoßen, die Autotür zugeschlagen, dann fuhr das Auto davon, passierte den Torbogen der Altstadt und verschwand die steile und schmale Straße hinab. Kate wußte nicht, ob O'Rourke sie gehört hatte.
    Radu Fortuna kicherte und stieß Ion an. »Wie rührend«, sagte Fortuna lachend. »Wie ungemein rührend.«
    Kate wirbelte zu ihm herum. »Warum haben sie ihn geschlagen?«
    Radu Fortuna sagte nichts, aber Ion schien offenbar der Meinung zu sein, daß er seinen Teil zur momentanen Erheiterung beitragen konnte. »Der Priester-Idiot hat kein echtes Bein. Das wissen wir nicht. Als die Männer gestern nacht in die Zelle kommen, um ihn zu Vater zu bringen, schlägt der Priester-Idiot Andrei und Nikolae mit dem Bein auf die Köpfe, das er abgenommen hat. Er versucht zu gehen. Nikolae bewußtlos. Andrei und drei anderen gefällt es nicht, sie schlagen. Sie schlagen sehr lange und ...«
    »Halt den Mund, Ion«, schnappte Radu Fortuna, der nicht mehr lächelte.
    Ion hielt den Mund.
    Also ist Mike auch bei dem alten Mann gewesen.
    Eine der Wachen der Strigoi machte die hintere Tür des wartenden Mercedes auf. Kate machte sich im Geiste eine Notiz, daß sie, sollte sie dies alles lebend überstehen, niemals eines von diesen verdammten Autos kaufen würde.
    »Nun, ich wünsche Ihnen eine gute Reise«, sagte Radu Fortuna, der neben der offenen Tür stand, während einer der Schurken sie ins Innere schubste.
    »Wohin werde ich gebracht?« Sie stellte enttäuscht fest, daß Ion um das Auto herumging und sich zu ihr auf den Rücksitz setzte. Der Strigoi -Schurke mit der Narbe über dem Auge setzte sich ans Steuer, während der andere einfach draußen stehenblieb.
    Radu Fortuna breitete die Arme zu einer wegwerfenden Gebärde aus. »Sie möchten die Zeremonie sehen, ja? Sie sind, glaube ich, einen weiten Weg für dieses Privileg gekommen. Heute nacht haben Sie das Privileg.« Er grinste sie an, und da fiel ihr eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Fortunas Zahnlückengrinsen und den unentwegten Fernsehbildern von Saddam Hussein vergangenen Winter und Frühling auf: bei beiden Männern blieben die Augen unbeteiligt vom Mienenspiel. Radu Fortunas Augen waren so tot wie schwarzes Glas. Nur die Mundmuskulatur führte die Bewegungen normaler menschlicher Emotionen aus.
    »Nun«, fuhr

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