Kinder der Nacht
neuen Fürsten ... Onkel Radu ... unser neuer Anführer in allen Angelegenheiten ... Ihre Halsschlagadern öffnen.«
Kate hörte ein Klingeln in den Ohren, dunkle Punkte tanzten vor ihren Augen.
»Sie werden als erstes Ihrem Kind Nahrung spenden«, flüsterte der alte Mann. »Und dann der Familie.«
Der alte Mann schien mehrere Minuten lang überhaupt nicht zu atmen, aber dann fing das gequälte Keuchen wieder an. Er war eingeschlafen. Kate rührte sich nicht, bis die Tür geöffnet wurde, Radu Fortuna den Strigoi namens Ion ins Zimmer bat, ihre Hände vorn gefesselt wurden und man sie unverzüglich wieder zu der Grube im Keller des Turms brachte.
O'Rourke war nicht da. In dieser Nacht sah sie ihn nicht wieder. Welche Zeremonie die Strigoi auch immer in dieser kalten Oktobernacht in Sighişoara abhalten mochten, sie hielten sie ohne Kates Anwesenheit und Wissen ab.
Später, in der unbarmherzigen Dunkelheit des nächsten Morgens, kamen sie sie holen.
Kapitel 35
Kate hatte sich in der Dunkelheit nie wohl gefühlt. Als Kind hatte sie nachts das Nachttischlämpchen angelassen, bis sie zehn Jahre alt war; und auch als Erwachsene hatte sie eine schwache Lampe im Bad oder auf dem Flur gehabt - damit die Finsternis nicht allzu undurchdringlich wurde.
In der Grube herrschte völlige Dunkelheit. Die einsame 20-Watt-Birne im Keller mußte ausgeschaltet worden sein, da nicht einmal der schwächste Schein durch die Ritzen um die Falltür herum fiel. Obwohl es da oben dunkel war, spürte sie, daß einer von den Strigoi sich dort aufhielt. Sie konnte ihn nicht hören, spürte aber seine Anwesenheit. Die war alles andere als beruhigend.
Es schien, als wären Stunden vergangen, und Kate wußte, die Sonne mußte aufgegangen sein, aber an der Dunkelheit, dem Gestank und dem Kratzen änderte sich nichts. Manchmal war ihr zumute, als wäre die Zeit völlig stehengeblieben, als wären erst Minuten vergangen, seit sie in die Grube zurückgebracht worden war. In der nächsten Minute war sie überzeugt, daß der nächste Tag bereits gekommen und verstrichen, daß Joshua schon in den Clan der Bluttrinker eingeführt worden war.
Nein, er wird mein Blut als erstes trinken. Ich werde dabei sein.
Kate döste nur einmal ein und erwachte, als ihr eine Ratte über den Rock und die nackten Beine lief. Sie schrie nicht, aber in den Augenblicken, nachdem sie das Ding quer durch die Grube geworfen hatte, schüttelte sich ihr ganzer Körper vor Ekel. Es schrie, als es gegen die Wand prallte.
Kate wußte, dies sollten nach allen vernünftigen Maßstäben die verzweifeltsten Stunden ihres Lebens sein. Ihre Erkenntnis, daß es kein Entkommen für Joshua, O'Rourke und sie selbst gab, daß der Einfluß der Strigoi sich zu weit erstreckte, ihre böse Macht zu groß war, hätte sie trudelnd in einen Abgrund aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung stürzen müssen.
Aber so war es nicht.
In den schwarzen Stunden in der Grube stellte Kate fest, daß ihre externe Identität abgestreift wurde: hochdekorierte Akademikerin, Ärztin, angesehene Forscherin, Frau, gewesene Ehefrau, Liebende, Mutter. Was übrig blieb, hatte nichts mit Identität zu tun, mit dem, wer sie war, sondern ausschließlich damit, was sie war.
Kate Neuman war eine Frau, die nicht bereit war, widerstandslos in die Nacht zu gehen. Sie hatte nicht vor, den Mann zu opfern, den sie liebte - die Erkenntnis, daß sie Mike liebte, war wie ein Licht, das langsam in der Dunkelheit heller wurde -, ebenso wenig das Kind, das zu beschützen sie geschworen hatte. Es spielte keine Rolle, daß die Macht der Strigoi fast unvorstellbar war. Es spielte keine Rolle, daß sie keine Geheimwaffe hatte, nachdem der alte Mann ihr ›Wunderheilmittel‹ verächtlich abgelehnt hatte; es spielte keine Rolle, daß ihr in der stockdunklen Grube bisher noch kein neuer Plan eingefallen war. Ihr würde etwas einfallen. Und wenn ihr nichts einfiel, würde sie ohne zu überlegen handeln und darauf vertrauen, daß das Handeln allein die Variablen verändern würde.
Sollten die Strigoi ruhig ihr Schlimmstes aufbieten. Der Teufel sollte sie holen.
Als sie eine Ewigkeit später die Falltür aufmachten, um sie zu holen, lächelte sie.
Kate hatte in der Grube nicht geweint, aber selbst bei dem kümmerlichen Sonnenschein im Freien traten ihr Tränen in die Augen. Sie konnte sie nicht wegwischen, weil ihre Hände noch gefesselt waren. Die Plastikfesseln waren noch dieselben, aber nach dem Gespräch mit dem alten
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