Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
der gerade frisch gestrichen worden war, aber immer noch nach Rauch roch.
    »Kate, es tut mir so schrecklich leid ...«, begann der rothaarige Techniker.
    »Danke, Alan.« Sie schob ihm den Bericht hin. »Den hat der Leichenbeschauer des County erstellt. Müssen wir es noch einmal wiederholen?«
    Alan biß sich auf die Lippen, während er die gestapelten Seiten durchblätterte. »Nein«, sagte er schließlich, »die Schlußfolgerungen sind schlampig aufgeschrieben, aber die zugrunde liegenden Daten machen einen soliden Eindruck.«
    »Könnte das Kind Joshua sein?«
    Der Techniker schob sich die Brille höher auf die Nase. »Dieses Baby hat das richtige Geschlecht, das richtige Alter, ungefähr die richtige Größe, und es besteht kein Grund zu der Annahme, daß ein anderes Kind im Haus gewesen ist ...«
    »Könnte es Joshua sein? Sehen Sie sich den Abschnitt ›Blutproben‹ an.«
    Er nickte. »Kate, es ist nicht ungewöhnlich, daß bei Opfern von schweren Unfällen oder Großbränden wenig Blut im Körper zurück bleibt.«
    »Ja, ich weiß«, sagte Kate so geduldig, wie sie nur konnte. Sie erwähnte nicht ihre Zeit als Assistenzärztin in der Notaufnahme oder ihre Ausbildung bei einem der besten Pathologen des Landes, bevor sie sich für die Hämatologie entschieden hatte. »Aber daß das ganze Blut fehlt oder verdampft ist, Alan?«
    »Zugegeben, das ist ungewöhnlich«, sagte der Techniker. »Aber nicht unerhört.«
    »Nun gut«, sagte Kate. Sie gab ihm den zweiten Hefter mit den Röntgenbildern und Ausdrucken von MR-Bildern. »Ist das Joshua?«
    Alan verbrachte fast dreißig Minuten damit, die Aufnahmen zu studieren und sie mit den Ausdrucken und gespeicherten Computerbildern im Kontrollraum der Tomographie zu vergleichen. Als er fertig war, gingen sie in den Konferenzraum zurück.
    »Und?« sagte Kate.
    Das Gesicht ihres jungen Freundes wirkte fast verloren. »Ich kann die Abnormalität in der Magenwand nicht mit Sicherheit finden, Kate ... aber Sie sehen ja das Ausmaß der inneren Verletzungen, weil irgend etwas auf das Kind gefallen ist. Wahrscheinlich ein Stützbalken. Aber die tatsächlichen Gewebeproben untermauern die Identifizierung. Ich meine, die Zellpathologie ist ähnlich.«
    »Ähnlich«, sagte Kate und stand auf. »Aber nicht unbedingt dieselbe wie bei Joshua?«
    Alan nahm die Brille ab und sah sie blinzelnd an. Sein Gesicht sah sehr verwundbar und sehr traurig aus. »Nicht unbedingt ... bei diesen postmortalen Daten kann man das unmöglich mit Bestimmtheit sagen ... das müßten Sie ja am besten wissen. Aber die Chancen, daß sich ein Kind vergleichbarer Größe mit einer derart ungewöhnlichen Zellpathologie im selben Haus aufgehalten haben soll ...«
    Kate ging zur Tür. »Das bedeutet nur, daß sie einen aus ihren Reihen geopfert haben«, sagte sie.
    Alan betrachtete sie stirnrunzelnd. »Einen aus wessen Reihen?«
    »Nicht so wichtig«, sagte Kate und machte die Tür auf.
    Alan stand mit den Unterlagen auf. »Möchten Sie die nicht haben?«
    Kate schüttelte den Kopf und ging.
     
    Das Kind wurde auf einem wunderschönen Friedhof bei Lyons begraben, einer kleinen Gemeinde im Vorgebirge, wo Kate und Tom manchmal spazierengegangen waren. Als sie einen Grabstein verlangt hatte, war der Verkäufer einen Moment in ein Hinterzimmer gegangen und hatte die Fotokopie eines verzierten Grabsteins mit einem kindlichen Cherubimgesicht und einer Blumenranke mitgebracht.
    Kate schüttelte den Kopf. »Ein schlichter Stein. Überhaupt keine Verzierungen.«
    Der Verkäufer nickte enthusiastisch. »Und der Name des Verstorbenen soll darauf geschrieben werden ... äh, ja ... Joshua Neuman«, sagte er und räusperte sich. »Ich ... äh ... habe die Zeitungsberichte über die Tragödie gelesen, Doktor Neuman. Mein tiefstes Beileid.«
    »Nein«, sagte Kate so tonlos, daß der Mann sie über die Brille hinweg ansah. »Kein Name«, sagte sie. »Schreiben Sie nur auf den Stein - Unbekanntes rumänisches Kind.«
     
    Am Freitag, dem 4. Oktober, hob Kate die Summe von 15 830 Dollar von ihrem Sparkonto und 2200 Dollar von ihrem Girokonto ab, verstaute den größten Teil des Geldes in Umschlägen mit Papieren, die in ihrer Handtasche verschwanden, stopfte die restlichen Geldscheine in ihre Börse, nahm die Zubringer-Limousine zum Stapleton International Airport und begab sich an Bord eines Flugzeugs nach New York mit Anschlußflug nach Wien.
    Das Flugzeug rollte schon vom Tor weg, als sich ein ganz in Schwarz gekleideter Mann

Weitere Kostenlose Bücher