Kinder der Nacht
erzählen, woran Sie sich in der Donnerstagnacht noch erinnern?«
Kate bemühte sich, auf den Wellen des Schmerzes aus ihrem Arm und dem Kopf zu reiten und kämpfte gegen die Strömung, die sie wieder in die dunklen, willkommenen Tiefen hinabziehen wollte, und sprach jedes Wort mit großer Sorgfalt aus, während sie ihm alles erzählte, woran sie sich erinnerte.
Als sie die Augen aufschlug, war es Nacht. Rechtecke gespiegelten weißen Lichts an den Wänden und das Glimmen einer Nachtbeleuchtung am Paneel hinter ihr bildeten die einzigen Lichtquellen. O'Rourke ließ das Buch sinken, das er im spärlichen Licht gelesen hatte, und rückte mit dem Stuhl näher. Er trug das Sweatshirt, das er schon in Bukarest getragen hatte. »Hi«, flüsterte er.
Kate schwebte zwischen Bewußtsein und Ohnmacht. Sie konzentrierte sich auf das Bewußtsein.
»Das liegt an dem Schlag auf den Kopf«, sagte O'Rourke leise. »Der Doktor hat Ihnen die Folgen der Gehirnerschütterung erklärt, aber ich glaube nicht, daß Sie wirklich wach waren, als er es erklärt hat.«
Kate formte die Worte sorgfältig im Geiste, bevor sie ihre Lippen sie aussprechen ließ. »Nicht ... tot«, sagte sie.
O'Rourke biß sich auf die Lippen, dann nickte er. »Nein, Sie sind nicht tot«, sagte er.
Sie schüttelte wütend den Kopf. »Baby ...«, sagte sie. Aus unerfindlichen Gründen tat es ihr in Kiefer und Kopf weh, das ›J‹ in Joshua auszusprechen. Sie sprach es trotzdem aus. »Joshua ... nicht tot.«
O'Rourke drückte ihre Hand.
Kate erwiderte den Druck nicht. »Nicht tot«, sagte sie wieder flüsternd, falls einer der Männer in Schwarz hinter dem Vorhang oder vor der Tür lauern sollte. »Joshua ...« Ihr wurde schwindlig vor Schmerzen, und die Strömung nahm wieder zu. »Joshua ist nicht tot.«
O'Rourke lauschte.
»Müssen mir helfen«, flüsterte sie. »Versprechen.«
»Ich verspreche es«, sagte der Priester.
Ken Mauberly kam am Sonntagmorgen, als Kate allein war. Sie konnte sich trotz der Schmerzen konzentrieren und sprechen. Aber die Schmerzen waren immer noch sehr schlimm.
Kaum sah sie das Gesicht des Verwaltungschefs, da wußte sie, daß alles gleich noch viel schlimmer kommen würde.
Bei allen Kondolenzen erwies sich Mauberly als der Inbegriff von Optimismus und verhaltener Fröhlichkeit. »Gott sei Dank sind Sie davongekommen, Kate«, sagte er, rückte die Brille zurecht und beschäftigte sich nervös mit den Blumen, die er mitgebracht hatte. Er stellte sie in eine Vase und zupfte sie zurecht. »Gott sei Dank sind Sie davongekommen.«
Kate legte eine Hand auf den Wulst des Verbandes über der rechten Schläfe. Das schien alles ein wenig ins Lot zu bringen, wenn sie sprach. »Ken«, sagte sie und stellte überrascht fest, daß sie ihre alte Stimme wiederhatte, »was ist denn?«
Er erstarrte, ohne die Hände von den Blumen zu nehmen.
»Was ist los, Ken? Da ist doch noch etwas. Bitte sagen Sie es mir.«
Mauberly gab klein bei. Er zog einen Stuhl ans Bett und ließ sich darauf fallen. Als er sprach, standen ihm hinter der Brille Tränen in den Augen. »Kate, in der Nacht, als ... in derselben Nacht ist jemand ins Labor eingebrochen. Sie haben einen Brand in den Biolabors gelegt, Versiegelungen erbrochen, Unterlagen verbrannt, die Computer beschädigt, die Disketten gestohlen ...«
Kate wartete. Wegen des Vandalismus allein hätte er nicht geweint.
»Chandra ...«, begann er.
»Sie haben sie getötet«, sagte Kate. Es war keine Frage.
Mauberly nickte und zog die Brille ab. »Das FBI ... O Gott, Kate, es tut mir leid. Der Doktor und die Psychologen haben gesagt, es wäre zu früh, Ihnen alles zu erzählen und ...«
»Wer noch?« wollte Kate wissen. Sie hatte ihm die Hand auf den Unterarm gelegt.
Mauberly holte tief Luft. »Charlie Tate. Er und Susan haben noch spät in der Nacht gearbeitet, als die Eindringlinge das Sicherheitssystem überwunden haben.«
»J-Viruskulturen?« fragte Kate und verkniff das Gesicht wegen der zusätzlichen Schmerzen, die ihr das ›J‹ bereitete. »Joshuas Blutproben?«
»Zerstört«, sagte Mauberly. »Das FBI ist der Meinung, sie wurden vor Ausbruch des Feuers das Entsorgungsbecken runtergespült.«
»Geklonte Kopien?»sagte Kate. Sie hatte die Augen geschlossen und konnte Susan McKay Chandra sehen, wie diese sich über das Elektronenmikroskop beugte und Charlie Tate hinter ihr lachend etwas sagte. »Haben Sie auch die geklonten Kopien im Klasse-IV-Labor gefunden?«
»Alles futsch«,
Weitere Kostenlose Bücher