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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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neben ihr auf den Sitz fallen ließ.
    »Sie kommen spät«, sagte Kate. »Ich dachte schon, Sie hätten es sich anders überlegt.«
    »Nein«, sagte O'Rourke. »Ich habe es doch versprochen, oder nicht?«
    Kate biß sich auf die Lippen. Die Kopfschmerzen, die vor ein paar Tagen noch migräneartige Ausmaße gehabt hatten, waren inzwischen viel besser geworden, heulten aber immer noch wie ein Sturmwind durch ihren Schädel. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, aber sie versuchte es dennoch. »Hat Ihr Freund, der Senator, mit dem Mann in der Botschaft in Bukarest gesprochen?«
    O'Rourke nickte. Der bärtige Mann sah müde aus.
    »Und wird sich die Botschaft mit Lucian in Verbindung setzen?«
    »Ja«, sagte O'Rourke. »Es wird alles erledigt. Sie haben jemanden ausgesucht, der ... äh ... nicht unvertraut mit problematischen Aufträgen ist.«
    »CIA«, sagte Kate. Sie rieb sich mit der unverletzten Hand die Stirn. »Ich denke immer, daß ich etwas vergessen habe.«
    O'Rourke schien ihr Gesicht zu studieren. »Die Reisevereinbarungen, die Sie gewünscht haben, wurden getroffen. Lucian wird wissen, wann und wo er uns treffen kann. Meine Freunde von der Matthiaskirche in Budapest haben Verbindung mit den Zigeunern aufgenommen. Alles, was wir besprochen haben, wird erledigt.«
    Kate rieb sich weiterhin die Stirn, ohne daß es ihr selbst aufgefallen wäre. »Trotzdem ... ich werde den Eindruck nicht los, daß ich etwas vergessen habe.«
    O'Rourke beugte sich näher zu ihr. »Vielleicht haben Sie vergessen, daß Sie Zeit zum Trauern brauchen.«
    Kate wandte sich unvermittelt ab und tat so, als würde sie während des Starts zum Fenster hinaussehen, dann erst sah sie den Priester wieder an. »Nein ... ich spüre es ... ich meine, der Tod von Tom und Julie und Chandra ist in mir wie ein Schmerz, der wahrhaftiger wirkt als die Gehirnerschütterung oder der Arm hier ... aber ich kann mir keine Zeit nehmen, das alles zu spüren. Noch nicht.«
    O'Rourke sah sie mit seinen grauen Augen an. »Und Joshua?«
    Kates Lippen wurden verkniffen. »Joshua ist noch am Leben.«
    Der Priester nickte fast unmerklich. »Aber wenn wir ihn nicht finden können?«
    Kates dünnes Lächeln drückte weder Humor noch Wärme aus, nur feste Entschlossenheit. »Wir werden ihn finden. Ich schwöre bei den Gräbern der Freunde, die wir gerade begraben haben, und bei den Augen des Gottes, an den Sie glauben, daß wir Joshua finden werden. Und wir bringen ihn nach Hause.«
    Kate wandte sich ab und sah zum Fenster hinaus, wie die Ebenen von Colorado hinter ihnen zurückblieben, als sie nach Osten flogen, aber sie spürte noch lange Zeit O'Rourkes Blick auf sich.

Kapitel 21
     
    Kate war noch nie in Wien gewesen, aber ihre verworrenen, von der Zeitverschiebung beeinträchtigten Erinnerungen daran waren angenehm: wunderschöne alte Architektur neben modernster Raffinesse, Parks, Gärten und Paläste an den Ringstraßen der Altstadt, gediegener Wohlstand, Zielstrebigkeit, Sauberkeit und ganz eindeutig eine Neigung zur Ästhetik, die in vielen Jahrhunderten nicht nachgelassen hatte. Sie dachte daran, daß sie bestimmt eines Tages gerne nach Wien zurückkehren würde, wenn sie wieder bei Verstand war.
    Sie und O'Rourke trafen kurz nach Sonnenaufgang ein und nahmen ein Taxi zum Hotel de France am Schottentor in der Nähe des Rooseveltplatzes und einer Kathedrale, die, so O'Rourke, Votivkirche genannt wurde.
    »Sie waren schon einmal in Wien«, sagte Kate, die versuchte, sich trotz Kopfschmerzen und Zeitverschiebung zu konzentrieren.
    »Selbst in so wohlhabenden Städten wie Wien gibt es Waisenhäuser«, sagte O'Rourke. »Hier, ich trage uns ein.«
    Ihre Zimmer lagen im vierten Stock in einem modernen Teil des Hotels, der in einem zwei Jahrhunderte alten Gebäude hinter dem Hauptgebäude ausgebaut worden war. Kate betrachtete stirnrunzelnd die grauen Teppichböden, grauen Wände, Teakholzmöbel und die dem einundzwanzigsten Jahrhundert gemäße Ausstattung.
    O'Rourke entließ den Pagen auf deutsch und wandte sich ab, um in sein eigenes Zimmer zu gehen, als Kate ihn von der Tür her rief.
    »Mike ... ich meine Pater ... warten Sie einen Moment.«
    Er blieb auf dem schmalen Flur stehen. Hinter ihm konnte man durch Fenster wie in einem Wintergarten auf Schieferdächer und alte Innenhöfe hinabsehen.
    »O'Rourke«, sagte Kate, die versuchte, von dem dunklen Ort zurückzukehren, an den ihre Erschöpfung und Trauer sie immer wieder zu bringen versuchten, »ich habe

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