Kinder der Stürme
Kerr bei ihren Wenden benutzt hatten. Horizontal durchflog sie das erste Tor, dann drehte sie sich in die entgegengesetzte Richtung – für einen Moment hielt Maris den Atem an – dann das zweite Tor und schließlich mit einer kräftigen Aufwinddrehung – eine messerscharfe Wende, als hätte sich der Wind auf ihr Kommando hin gedreht, glitt sie durch das dritte Tor. Jetzt lag das vierte Tor vor ihr. Sie hatte die Flügel völlig unter Kontrolle, drehte vor dem Wind, und schon hatte sie das vierte Tor passiert. Die Zuschauer sprangen vor Begeisterung auf und jubelten. Das fünfte Tor bedeutete ebensowenig eine Schwierigkeit für sie wie zuvor für Maris. Nun lag das sechste Tor, an dem Maris gescheitert war, vor ihr. Ganz leicht bewegten sich die Flügel auf und ab. Da sie das Tor wesentlich höher angeflogen hatte als Maris, wurde sie beim plötzlichen Herabsinken ein wenig durchgeschüttelt, aber sie berührte den Boden nicht. Dann hatte sie es geschafft. Von überall her erschallte Jubelgeschrei. Das siebente Tor verlangte einen Kurvenflug im rechten Winkel, der nur den Bruchteil einer Sekunde dauern durfte. Auch das gelang ihr mühelos. In hohem Bogen flog sie auf das achte Tor zu. Es war zu schmal, die Pfosten standen zu dicht beieinander. S’Rella traf die Mitte nicht. Ihr linker Flügel schlug mit einem Knall gegen den Pfosten. Die Flügelstreben und der Pfosten brachen entzwei. S’Rella lag ausgestreckt am Boden.
Wie viele andere auch, rannte Maris zu ihr.
Als sie bei ihr ankam, sezte sich S’Rella auf, lachte und atmete schwer. Sie war von Landgebundenen umgeben, die ihr mit heiseren Stimmen gratulierten. Die Kinder drängelten sich heran, um ihre Flügel zu berühren. Aber S’Rella, die mit vom Wind geröteten Gesicht dasaß, mußte unentwegt lachen.
Maris schob sich durch die Menge und umarmte sie. S’Rella kicherte immer noch. „Bist du in Ordnung?“ fragte Maris und schob sie voran. S’Rella nickte verwirrt, immer noch kichernd. „Warum dann …?“
S’Rella zeigte auf den Flügel, mit dem sie den Pfosten gestreift hatte. Das Gewebe, das eigentlich unzerstörbar war, hatte nichts abbekommen, aber eine Stützstrebe war gebrochen. „Das ist schnell repariert“, sagte Maris. „Kein Problem.“
„Siehst du es denn nicht?“ sagte S’Rella und sprang auf. Ihr rechter Flügel reagierte auf jede Bewegung, er war straff gespannt. Aber der linke hing schlaff und gebrochen herunter, das silbrige Gewebe berührte den Boden.
Maris betrachtete den Flügel und begann zu lachen.
„Einflügler“, sagte sie hilflos. Die beiden fielen sich in die Arme und lachten.
„Jirel hat dir keine Schande gemacht“, sagte Maris zu Garth, als sie an diesem Abend bei ihm am Feuer saß. Er war schon wieder auf den Beinen, sah etwas erholt aus und trank Bier, wie in alten Zeiten. „Sie war ein bewundernswerter Ersatz und hat fünf Tore geschafft. Sie war genausogut wie ich. Aber fünf Tore sind natürlich nicht sieben, und deswegen hat es nicht gereicht. Selbst der Landmann konnte kein Unentschieden geben.“
„Gut“, sagte Garth. „S’Rella hat die Flügel verdient. Ich mag S’Rella. Bring sie dazu, daß sie mich besucht.“
Maris lächelte. „Ja, das werde ich“, sagte sie. „Sie bedauert, daß sie heute abend nicht kommen konnte, aber sie wollte gleich nach den Wettkämpfen Val besuchen. Auch ich will nachher zu ihm gehen, obwohl ich nicht besonders scharf darauf bin, aber …“ Sie seufzte.
Garth trank einen großen Schluck Bier und blickte einen Moment lang ins Feuer. „Corm tut mir leid“, sagte er. „Ich habe ihn zwar nie gemocht, aber er konnte fliegen.“
„Mach dir keine Sorgen“, sagte Maris. „Im Moment geht es ihm nicht besonders, aber er wird sich bald davon erholen. Shallis Schwangerschaft wird ihm die Möglichkeit geben, monatelang zu fliegen. Wie ich ihn kenne, wird der alte Tyrann dafür sorgen, daß sie die Flügel mit ihm teilt, wenn das Baby erst da ist. Nächstes Jahr kann er dann wieder jemanden herausfordern. Aber sicherlich nicht Val, dazu ist Corm zu clever. Ich wette, er fordert jemanden wie Jon von Culhall heraus.“
„Ah“, sagte Garth, „falls mich dieser verdammte Heiler wieder hinkriegt, werde ich Jon selbst herausfordern.“
„Nächstes Jahr wird er ein begehrter Gegner sein“, stimmte Maris zu. „Selbst Kerr möchte noch einmal gegen ihn antreten, aber ich bezweifle, daß Sena das erlauben wird, denn er braucht noch viel Übung. Nächstes Jahr hat
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