Kinder der Stürme
gab keine. Sie sagten, es wäre ein schrecklicher Absturz gewesen. Du wärst auf einen Felsen gestürzt und hättest dir beide Beine und einen Arm gebrochen. Aber nun sehe ich, und das ist besser als jeder Bericht, daß du gesund bist. Wann fliegst du nach Amberly zurück?“
Maris sah dem Mann, mit dem sie nicht leiblich verwandt war, den sie aber seit über vierzig Jahren liebte wie einen Bruder, in die Augen.
„Ich werde niemals nach Amberly zurückkehren, Coll“, sagte sie. Ihre Stimme klang bestimmt. „Ich werde nie wieder fliegen. Meine Verletzungen waren schlimmer, als ich zunächst dachte. Mein Arm und meine Beine sind heil, aber etwas bleibt für immer gebrochen. Als ich mit dem Kopf aufschlug … Mein Gleichgewichtssinn ist nicht in Ordnung. Ich kann nicht fliegen.“
Während er sie ansah, wich die Fröhlichkeit aus seinem Gesicht.
Er schüttelte den Kopf. „Maris … nein …“
„Es hat keinen Zweck ‚nein’ zu sagen“, sagte sie. „Ich mußte es akzeptieren.“
„Gibt es keine …“
Zu Maris’ Erleichterung unterbrach Evan das Gespräch. „Es gibt nichts. Maris und ich, wir haben alles Menschenmögliche getan. Kopfverletzungen sind immer mysteriös. Wir wissen nicht einmal genau was passiert ist. Und es gibt wohl keinen Heiler in Windhaven, der sagen könnte, was oder wie es geheilt werden kann.“
Coll nickte. Er blickte verwirrt drein. „Ich wollte damit nicht sagen, daß …, aber es ist schwer zu akzeptieren. Maris, ich kann mir dich nicht als Landgebundene vorstellen!“
Maris wußte, daß er es nur gut meinte, aber sein Kummer riß ihre Wunden wieder auf.
„Du mußt es dir nicht vorstellen“, sagte sie ziemlich scharf. „Das ist mein Leben, jeder darf es wissen. Auch hat man die Flügel bereits nach Amberly zurückgebracht.“
Coll sagte nichts. Weil Maris den Schmerz in seinem Gesicht nicht ertragen konnte, starrte sie ins Feuer. Das Schweigen dauerte an. Dann hörte sie wie eine Steinflasche entkorkt wurde. Evan goß den dampfenden Kivas in die drei Steinkrüge.
„Darf ich es probieren?“ Bari kauerte sich neben ihren Vater und sah ihn hoffnungsvoll an. Coll lächelte sie an, aber er schüttelte neckend den Kopf.
Während Maris Vater und Tochter beobachtete, löste sich ihre Spannung. Sie traf Evans Augen, der sie anlächelte, während er ihr einen mit heißem Gewürzwein gefüllten Krug in die Hand gab.
Sie wandte sich wieder Coll zu, um mit ihm zu sprechen, da fiel ihr Blick auf seine Gitarre, die immer in seiner Nähe lag. Der Anblick des Instruments setzte eine Flut von Erinnerungen frei, und plötzlich hatte Maris das Gefühl, daß Barrion im Raum wäre, obwohl er schon einige Jahre tot war. Die Gitarre hatte ihm gehört, und vor ihm hatte sie seine Familie von Generation zu Generation weitergegeben, seit den Tagen der Sternensegler. Sie hatte nie herausgefunden, ob er die Wahrheit gesagt hatte, denn Übertreibungen und wundervolle Lügen kamen so leicht von seinen Lippen wie Atem. Aber das Instrument war mit Sicherheit sehr alt. Er hatte es Coll, der sein Schützling war und der Sohn, den er nie gehabt hatte, anvertraut. Maris streckte die Hand aus, um das glatte Holz zu fühlen. Es war dunkel durch die vielen Lackschichten und den ständigen Gebrauch.
„Sing für uns, Coll“, bat sie. „Sing uns ein neues Lied.“
Noch bevor sie die Worte ausgesprochen hatte, lag die Gitarre auf seinen Knien. Sanfte Akkorde erklangen.
„Dieses Lied nenne ich »Klage des Sängers’“, sagte er mit einem schiefen Lächeln im Gesicht. Und er sang ein melancholisches Lied mit ironischen Wendungen, das von einem Sänger handelte, den seine Frau verlassen hatte, weil er die Musik zu sehr liebte. Maris nahm an, daß er über seine eigene Ehe sang, obwohl er ihr nie näher erzählt hatte, warum sie gescheitert war, und sie war nicht dagewesen, um es aus erster Hand zu erfahren.
Der wiederkehrende Refrain des Liedes lautete: „Ein Sänger sollte nicht heiraten, für einen Sänger hat das keinen Zweck, küß die Musik während sie fliegt, und nimm ein Lied mit ins Bett.“
Sein nächstes Lied handelte von der turbulenten Liebesbeziehung zwischen einem stolzen Landmann und einer noch stolzeren Einflüglerin. Maris kannte zwar einen der Namen, aber sie hatte nichts von der Geschichte gehört.
„Ist das wahr?“ fragte sie, nachdem er aufgehört hatte zu singen.
Coll lachte. „Diese Frage hast du Barrion auch immer gestellt! Deshalb gebe ich dir seine Antwort: Ich kann
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