Kinder der Stürme
dir zwar nicht sagen wann, wo oder ob es geschehen ist, aber es ist trotzdem eine wahre Geschichte!“
„Nun sing mein Lied“, sagte Bari.
Coll küßte seine Tochter auf die Nase und sang ein melodisches Phantasielied über ein kleines Mädchen mit Namen Bari, das mit einer Szylla Freundschaft schließt und von ihr mitgenommen wird in ihre Höhle im Meer, um ihm dort viele Schätze zu zeigen.
Später sang er ältere Lieder. Die Ballade von Aron und Jeni, das Lied über die Geisterflieger, jenes von dem verrückten Landmann von Kennehut und seine eigene Version des Holzflüglerliedes.
Noch später am Abend, nachdem man Bari ins Bett gebracht hatte und die drei Erwachsenen bereits die dritte Flasche Kivas geleert hatten, sprachen sie über ihr Leben. Wesentlich ruhiger als einige Stunden zuvor konnte Maris Coll ihre Entscheidung, bei Evan zu bleiben, erklären.
Da der erste Schock vorüber war, versuchte Coll nicht mehr, sein Mitleid auszudrücken, aber er machte ihr klar, daß er ihre Entscheidung nicht verstehen konnte.
„Aber warum bleibst du hier im Osten, so weit von deinen Freunden entfernt?“ Und mit der Höflichkeit eines Betrunkenen fügte er hinzu, „Damit will ich nichts gegen dich sagen, Evan.“
„Ganz gleich, wo ich leben würde, ich wäre immer weit weg von irgend jemand“, sagte Maris. „Du weißt, wie verstreut meine Freunde leben.“
„Komm mit mir nach Amberly zurück“, bat er. „Du könntest in dem Haus leben, in dem wir aufgewachsen sind. Vielleicht sollten wir bis zum Frühjahr warten, dann ist die See ruhiger, aber die Reise von hier dorthin ist wirklich nicht so schlimm.“
„Du kannst das Haus haben“, sagte sie. „Du kannst mit Bari dort leben oder es verkaufen, ganz wie du willst. Aber ich kann nicht dorthin zurückkehren, dort gibt es zu viele Erinnerungen. Hier auf Thayos kann ich ein neues Leben beginnen. Es wird schwer werden, aber Evan hilft mir.“ Sie nahm seine Hand. „Ich kann Nutzlosigkeit nicht ausstehen. Es tut gut, gebraucht zu werden.“
„Aber als Heiler?“ Coll schüttelte den Kopf. „Ein seltsamer Gedanke.“ Er sah Evan an. „Kann sie dir wirklich helfen?“
Evan hielt Maris’ Hand in seiner und streichelte sie.
„Sie lernt schnell“, sagte er, nachdem er einen Moment nachgedacht hatte. „Sie hat einen starken Willen zu helfen und drückt sich nicht vor unangenehmen oder schwierigen Aufgaben. Bis jetzt weiß ich noch nicht, ob sie das Talent dazu hat, ein Heiler zu werden.
Aber ich muß gestehen, auch wenn das egoistisch klingt, ich bin glücklich, daß sie hier ist. Ich hoffe, daß sie mich nie verlassen wird.“
Die Röte stieg ihr ins Gesicht. Maris senkte den Kopf und trank einen Schluck. Seine letzten Worte hatten sie überrascht und erfreut. Bisher hatte es zwischen ihr und Evan kaum Gespräche über ihre Beziehung gegeben – keine romantischen Versprechungen, keine Forderungen und keine Komplimente. Und dennoch versuchte Maris den Gedanken zu vertreiben, daß sie Evan, was ihre Beziehung anging, keine Wahl gelassen hatte, daß sie sich in seinem Leben eingenistet hatte, bevor er darüber nachdenken konnte. Aber aus seiner Stimme klang Liebe.
Dann entstand ein Schweigen. Um diese Stille zu brechen, fragte Maris Coll nach Bari. „Seit wann reist sie mit dir?“
„Ungefähr seit sechs Monaten“, sagte er. Er stellte seinen Krug ab und griff zur Gitarre. Während er sprach, untermalte er seine Worte mit einigen Akkorden. „Der neue Ehemann ihrer Mutter ist ein gewalttätiger Mann – einmal hat er Bari sogar geschlagen. Ihre Mutter ist nicht eingeschritten, aber sie hat auch nichts dagegen unternommen, daß ich Bari weggeholt habe. Sie erzählte mir, er wäre wahrscheinlich eifersüchtig auf Bari und möchte gern ein eigenes Kind haben.“
„Und wie fühlt sich Bari?“
„Ich glaube sie ist glücklich, daß sie mit mir zusammen ist. Aber sie ist noch sehr klein. Sie vermißt natürlich ihre Mutter, aber sie ist glücklich, nicht in einem Haus leben zu müssen, wo sie nichts richtig machte.“
„Willst du eine Sängerin aus ihr machen?“ fragte Evan.
„Wenn sie es möchte. Ich hatte mich schon entschieden, als ich jünger war als sie, aber Bari weiß bis jetzt noch nicht, was sie aus ihrem Leben machen möchte. Sie singt wie eine Nachtigall. Aber es gehört mehr dazu, ein Sänger zu sein, als die Lieder anderer Leute zu singen, und bis jetzt hat sie noch kein Talent beim Dichten eigener Lieder gezeigt.“
„Sie ist
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