Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
Vom Netzwerk:
rief den Geist des verrückten Landmannes von Kennehut auf den Plan. Aus Kummer darüber, daß sein Sohn in einem weitentfernten Land gestorben war, ließ er den Überbringer der nicht willkommenen Nachricht hinrichten. Später haben ihn die Flieger gemieden, bis das stolze, reiche Kennehut einsam und ruiniert war. Sein Name galt von diesem Zeitpunkt an als Synonym für Wahnsinn und Verzweiflung. Seitdem hat es kein Landmann gewagt, einem Flieger ein Haar zu krümmen. Bis jetzt.
    Maris schüttelte den Kopf. Sie starrte Tya an, ohne sie wahrzunehmen. „Hat er den Verstand verloren, daß er glaubt, die Nachricht, die du ihm von seinen Feinden überbracht hast, wäre deine Idee? Das Verrat zu nennen, ist ein Fehler an sich. Du bist nicht sein Untertan – er weiß, daß die Flieger nicht dem niederen örtlichen Gesetz unterstehen. Wie solltest du, als ihm Ebenbürtige, etwas Verräterisches tun? Was wirft er dir vor?“
    „Oh, er weiß, was ich tat“, sagte Tya. „Ich habe nicht behauptet, daß ich zu Unrecht eingesperrt wurde. Aber ich habe nicht erwartet, daß er es herausfindet. Ich kann es mir nicht erklären, ich war doch so vorsichtig.“ Sie zuckte. „Aber jetzt ist alles umsonst. Es wird Krieg geben, so schlimm und blutig, als hätte ich mich nie eingemischt.“
    „Das verstehe ich nicht.“
    Tya grinste sie an. Trotz ihres blauen Auges, ihrer Wunden und ihrer offensichtlichen Schmerzen war sie ein scharfer Beobachter. „Nein? Ich habe gehört, daß Flieger früher einmal Nachrichten übermitteln konnten, ohne ihren Sinn zu ‚kennen. Aber ich kannte ihn immer: jede kriegerische Drohung, jede verlockende Versprechung, jede mögliche Allianz. Ich mußte Dinge auswendig lernen, die ich nicht aussprechen wollte. Ich habe die Botschaften verändert. Am Anfang ganz wenig, da habe ich sie nur diplomatischer klingen lassen. Dann bin ich mit der Antwort zurückgeflogen, die den Krieg aufschob oder ihm auswich. Es hat funktioniert – bis er meinen Betrug herausfand.“
    „In Ordnung, Tya“, sagte Evan. „Schluß jetzt mit dem Gerede. Ich muß dein Schlüsselbein richten, das wird weh tun. Kannst du stillhalten, oder soll Maris dich festhalten?“
    „Ich werde es schon schaffen, Heiler“, sagte Tya. Sie atmete tief ein.
    Maris sah Tya ausdruckslos an. Sie konnte kaum glauben, was sie gehört hatte. Tya hatte das Undenkbare getan – sie hatte eine Botschaft, die man ihr anvertraut hatte, verändert. Sie hatte sich in die Politik der Landgebundenen eingemischt, anstatt über den Dingen zu stehen, wie es sich für einen Flieger gehörte. Die verrückte Tat, einen Flieger einzusperren, erschien jetzt nicht mehr verrückt. Was hätte der Landmann sonst tun sollen? Deshalb hatte ihn Maris’ Anwesenheit auch so verärgert. Wenn die anderen Flieger das erführen …
    „Was hat der Landmann mit dir vor?“ fragte Maris.
    Zum erstenmal sah Tya betrübt aus. „Die übliche Strafe für Verrat ist Tod.“
    „Das würde er nicht wagen!“
    „Da bin ich nicht so sicher. Ich fürchtete, er wollte mich hier vergraben, mich heimlich töten und die Landwachen, die mich einsperrten, zum Schweigen bringen. Dann wäre ich einfach verschwunden. Man hätte glauben können, ich sei im Meer ertrunken. Aber nun bist du hier, Maris, deshalb kann er das nicht tun. Du würdest es verraten.“
    „Und dann würden wir beide als verräterische Lügner gehängt“, sagte Evan etwas scherzhaft. Dann fügte er mit ernster Stimme hinzu: „Nein, ich glaube du hast recht, Tya. Der Landmann hätte mich nicht rufen lassen, wenn er dich heimlich töten wollte. Dann wäre es einfacher gewesen, dich sterben zu lassen. Je mehr Leute von deiner Gefangenschaft wissen, desto größer ist sein Risiko.“
    „Du unterstehst dem Fliegergesetz – der Landmann hat kein Recht, einen Flieger zu verurteilen“, sagte Maris. „Er muß dich den Fliegern übergeben. Man wird eine Gerichtsversammlung einberufen und dir die Flügel abnehmen. Oh, Tya. Ich habe noch nie gehört, daß ein Flieger so etwas getan hat.“
    „Ich habe dich geschockt, Maris?“ Tya lächelte. „Du kannst dich nicht damit abfinden, daß jemand die Traditionen bricht, nicht einmal du? Ich habe dir gesagt, du warst kein Einflügler.“
    „Macht das einen so großen Unterschied?“ fragte sie ruhig. „Glaubst du, die Einflügler stellen sich auf deine Seite und heißen dein Verbrechen gut? Glaubst du, du darfst deine Flügel behalten? Welcher Landmann sollte dich

Weitere Kostenlose Bücher