Kinder der Stürme
kürzer.
In der äußeren Halle wurden sie vom Landmann erwartet. Er sah sie beide kritisch an., als suchte er nach Anzeichen von Wut oder Angst. „Ein höchst unglücklicher Unfall“, sagte er.
Evan sagte: „Sie leidet nur an einem gebrochenen Schlüsselbein und einigen Hautabschürfungen. Wenn man ihr gut zu essen gibt und sie sich ausruhen kann, wird sie sich schnell erholen.“
„Während ihrer Gefangenschaft wird ihr die beste Pflege zukommen“, sagte der Landmann. Obwohl er seine Worte an Evan gerichtet hatte, sah er Maris an. „Ich habe Jem ausgesandt, damit er von ihrer Inhaftierung berichtet. Eine undankbare Aufgabe - die Flieger haben keinen Führer und sind nicht organisiert, das würde alles vereinfachen. So muß er es möglichst vielen Fliegern mitteilen, das braucht seine Zeit. Aber er wird es schaffen. Jem fliegt schon viele Jahre für mich, und seine Mutter ist bereits für meinen Vater geflogen. Wenigstens auf ihn kann ich mich verlassen.“
„Dann willst du Tya den Fliegern übergeben, damit sie das Urteil sprechen?“ sagte Maris.
Der Mund des Landmannes verzog sich krampfartig. Er sah Evan an und gab deutlich zu erkennen, daß er Maris ignorierte. „Ich hatte die Idee, daß die Flieger jemanden schicken möchten, der ihren Standpunkt vertritt. Um Tya ordnungsgemäß zu verurteilen, um Gnade für sie zu erbitten oder um mildernde Umstände geltend zu machen. Aber das Verbrechen wurde gegen mich verübt, gegen Thayos, und deshalb kann nur der Landmann von Thayos die Verhandlung einberufen und die Strafe festsetzen. Stimmst du mir zu?“
„Ich kenne weder die Gesetze noch die Pflichten der Landmänner“, sagte Evan ruhig. „Ich kenne mich nur in der Heilkunde aus.“
Maris fühlte den warnenden Druck von Evans Hand auf ihrem Arm und sagte nichts. Es fiel ihr entsetzlich schwer, denn jahrelang hatte sie immer ausgesprochen, was sie dachte.
Der Landmann lächelte Evan an. Aber es war ein hämisches, unangenehmes Lächeln. „Vielleicht möchtest du etwas lernen? Du und deine Assistentin, seid herzlich eingeladen zu bleiben und mit mir zu speisen. Anschließend biete ich euch eine erbauliche Unterhaltung. Eine Verräterin, Reni die Heilerin, wird bei Sonnenuntergang gehängt.“
„Für welches Verbrechen?“
„Verrat, wie ich schon sagte. Diese Reni hatte einen Verlobten auf Thrane. Man hat ihn des öfteren in der Gesellschaft von verräterischen Fliegern gesehen. Auch ist bekannt, daß er sie heiraten wollte. Er war ihr Komplize. Wollt ihr nicht bleiben und sehen, wie es jenen ergeht, die mich betrügen?“
Maris wurde übel.
„Ich glaube nicht“, sagte Evan. „Nun, wenn du uns entschuldigst. Wir müssen uns auf den Weg machen.“
Evan und Maris sagten kein Wort, bis die Landwachen sie am Eingang des Tales verlassen hatten und sie auf dem Weg waren, der sie heimführte. Erst dort waren sie vor unfreundlichen Lauschern sicher.
„Arme Reni“, sagte Evan dann.
„Arme Tya“, sagte Maris. „Er will sie auch hängen. Zweifellos war es falsch, was sie getan hat. Aber was ist das für ein Ende. Ich weiß nicht, was die Flieger tun werden, aber das können sie nicht tolerieren. Ein Flieger darf nicht von einem Landmann verurteilt und gehängt werden!“
„Vielleicht kommt es nicht dazu“, sagte Evan. „Zweifellos wird die arme Reni sterben, aber vielleicht wird der Landmann dadurch besänftigt. Er ist zwar ein Mann, der gern Blut sieht, aber er ist nicht total verrückt. Er wird sicherlich einsehen, daß er Tya den Fliegern übergeben muß und daß sie sie bestrafen sollten.“
„Was immer auch mit Tya geschieht, es geht mich nichts an“, sagte Maris mit einem Seufzer. „Es fällt mir schwer, mich nach vierzig Jahren damit abzufinden, daß ich keine Fliegerin mehr bin. Aber nun bin ich eine Landgebundene wie jede andere, und ich habe nichts mit Tyas Schicksal zu tun.“
Evan legte den Arm um sie und drückte sie, während sie ihren Weg fortsetzten.
„Maris, niemand erwartet von dir, daß du dein Leben als Fliegerin vergißt.“
„Das weiß ich“, sagte Maris. „Niemand außer mir. Aber das ist nicht gut, Evan. Ich muß es vergessen, sonst kann ich nicht weiterleben. Als ich jung war, hielt ich die Holzflügel-Geschichte für romantisch. Für mich waren Träume immer das Wichtigste, und ich glaubte, wenn man sich etwas stark genug wünscht, würde es auch wahr werden, selbst wenn man dafür sterben müßte. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, darüber
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