Kinder der Stürme
feuchten Wald spazierte. Jetzt müßte die Versammlung eröffnet sein, dachte sie, und in ihrem Kopf hörte sie die Reden, die Val, Corm und andere hielten. Sie wog die Argumente ab oder stellte ihnen andere entgegen. Sie dachte darüber nach, wohin das alles führte und wen sie wohl als Vorsitzenden gewählt hatten. Als sie sich schließlich auf den Heimweg machte, trug sie einen Korb, der mit Lügenkraut gefüllt war. Dieses Gewächs sah zwar dem Süßlied recht ähnlich, hatte aber überhaupt keine heilende Wirkung. Evan nahm den Korb und stöhnte laut, während er den Kopf schüttelte. „Maris, Maris“, schimpfte er, „was soll ich nur rhit dir machen?“ Er wandte sich an Bari. „Meine Kleine“, sagte er, „geh und hole etwas Süßlied, bevor es zu dunkel wird. Deine Tante fühlt sich nicht sehr wohl.“
Maris konnte ihm nur zustimmen.
Dann kam Coll eines Tages zurück. Sechs Wochen nachdem er sie verlassen hatte, schlenderte er die Straße entlang, die Gitarre über seinen Schultern. Er war nicht allein. S’Rella begleitete ihn. Sie trug immer noch ihre Flügel und taumelte, als wäre sie im Halbschlaf.
Ihre Gesichter waren grau und verzerrt.
Als Bari sie kommen sah, schrie sie vor Freude und lief ihrem Vater entgegen, um ihn zu umarmen. Maris wandte sich an S’Rella.
„S’Rella, fühlst du dich nicht wohl? Wie ist die Versammlung gelaufen?“
S’Rella begann zu weinen.
Maris ging auf sie zu und nahm ihre alte Freundin in den Arm. S’Rella zitterte. Zweimal versuchte sie zu sprechen, aber sie brachte nur ein Schluchzen hervor.
„Ist schon gut, S’Rella“, sagte Maris hilflos. „Es ist schon gut, ich bin ja hier.“ Sie sah Coll an.
„Bari“, sagte Coll mit zitternder Stimme. „Geh und suche Evan und bring ihn zu uns.“
Bari warf S’Rella einen besorgten Blick zu und rannte gehorsam los.
„Ich war in der Festung des Landmannes“, sagte Coll, nachdem seine Tochter gegangen war. „Er hat in Erfahrung gebracht, daß ich dein Bruder bin und ließ mich einsperren, bis die Versammlung vorüber war. S’Rella kam erst nach der Versammlung. Die Landwachen haben sie gefangengenommen und ebenfalls zur Festung gebracht. Er hatte auch andere Flieger eingesperrt. Jem, Ligar von Thrane und Katinn von Lomarron, ein armes Kind aus dem Westen. Außer den Fliegern und mir waren noch vier Sänger, einige Geschichtenerzähler und natürlich die Ausrufer des Landmannes und seine Läufer dort. Er möchte, daß alles bekannt wird. Er möchte, daß jeder von seinen Taten erfährt. Wir waren seine Zeugen. Die Landwachen führten uns in den Hof und zwangen uns, alles mitanzusehen.“
„Nein“, sagte Maris und drückte S’Rella an sich. „Nein, Coll, das hat er nicht gewagt. Das konnte er nicht tun.“
„Gestern bei Sonnenuntergang wurde Tya von Thayos gehängt“, sagte Coll unverblümt, „und nichts ändert sich dadurch. Ich habe es gesehen. Sie versuchte eine Rede zu halten, aber der Landmann hat es ihr nicht gestattet. Die Schlinge war nicht richtig verknotet, deshalb brach ihr Genick nicht beim Sturz, sondern sie wurde langsam stranguliert.“
S’Rella entzog sich der Umarmung. „Du hattest Glück“, brachte sie endlich heraus. „Er hätte … nach dir schicken können. Oh, Maris. Ich konnte nicht wegsehen … ich … es war schrecklich. Sie durfte nicht einmal … sie … ihre letzten Worte. Und das schlimmste …“ Ihre Stimme versagte.
Evan und Bari kamen, aber Maris nahm weder ihre Schritte noch Evans Begrüßung wahr. Ein Gefühl der Kälte hatte sie ergriffen. Das gleiche Gefühl der Gelähmtheit, das sie empfunden hatte, als Russ gestorben war und als Hailand im Meer ertrank. „Wie konnte er das wagen?“ sagte sie langsam. „Hat niemand etwas dagegen unternommen? Hat ihn niemand daran gehindert?“
„Viele Offiziere der Land wachen haben ihn gewarnt, besonders ein Offizier höheren Ranges – ich glaube er befehligt seine Leibwache. Er hat nicht darauf gehört. Die Land wachen, die uns geführt haben, hatten offensichtlich Angst. Einige wandten ihre Augen ab, als sich das schreckliche Schauspiel vollzog. Aber schließlich gehorchten sie. Denn sie sind Landwachen, und er ist ihr Landmann.“
„Aber die Versammlung“, sagte Maris. „Warum hat die Versammlung nicht … was ist mit Val und den Fliegern?“
„Die Versammlung“, sagte S’Rella voller Verbitterung, „die Versammlung hat sie geächtet und ihr die Flügel weggenommen.“ Wut hatte ihre Tränen
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