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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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längst klar, daß er daran gewöhnt war, die Flügel allein anzulegen. Maris versuchte unauffällig ihre Muskeln zu entspannen. Es kann ihm doch nichts bedeuten, mich zu besiegen, wenn ich so müde bin und der Wind Kapriolen schlägt, sagte sie sich. Das muß er doch wissen.
    „Wie immer? Zweimal hin und zurück?“
    Maris nickte und starrte über die grauen schäumenden Wellen auf die fernen Felsenspitzen, die ihnen als Markierung dienten. Wie oft war sie heute schon hinausgeflogen? Dreißigmal? Oder mehr? Das spielte keine Rolle. Sie würde die letzten beiden Runden fliegen, als seien es die ersten. Ihr Stolz verlangte es.
    „Wer wird über den Sieg entscheiden?“ fragte sie.
    Val ließ die letzten beiden Gelenke seiner Flügel einschnappen. „Wir werden es wissen“, sagte er. „Nur das zählt. Ich starte als erster, und du gibst das Startzeichen. Einverstanden?“
    „Ja.“ Sie beobachtete, wie er mit wenigen flinken Schritten an den Rand der Klippe ging und absprang. Sein Körper trieb auf den widerstreitenden Winden wie ein kleines Boot auf rauher See, bis er die Kontrolle gewann, nach rechts abdrehte und zu steigen begann.
    Maris atmete tief ein und versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren. Leichtfüßig rannte sie vorwärts und sprang ab. Einen kurzen Augenblick fiel sie ins Bodenlose, dann fingen ihre Flügel den Wind ein, und sie wurde aufwärts getragen. Sie nahm sich Zeit und stieg in langsamen Spiralen zu Val auf. Sie brauchte diese Augenblicke, um wieder das richtige Fluggefühl zu bekommen; ihr müder Körper mußte sich erst auf den Wind einstellen.
    Als sie ihn erreicht hatte, umkreisten sich die beiden vorsichtig und bemühten sich, von den Winden nicht wieder auseinandergetrieben zu werden. Ihre Blicke trafen sich, dann wich sie ihm aus und sah auf die Felsen, die ihnen als Markierungspunkt dienten.
    „Fertig … los“, rief sie, und damit waren sie unterwegs.
    Die Winde waren stark und turbulent. Der vorherrschende Nordwind wurde von Böen mal aus dieser, dann aus jener Richtung überlagert. Der ganze östliche Himmel bestand aus Wolken, die sich zu grauen Massen auftürmten und einen Sturm ankündigten. Maris warf ihnen einen besorgten Blick zu und begann aufzusteigen, wobei sie die stetigen und schnellen Winde der größeren Höhen suchte. Fortwährend mußte sie kämpfen, um ihren Kurs beizubehalten. Böen trieben sie hin und her und verlangten ständig volle Konzentration, und von Zeit zu Zeit Halbturns und Kurskorrekturen. Sie konnte sich keine Umwege leisten.
    Obwohl sie ihn nicht beobachtete, geriet Val oft in ihr Blickfeld. Manchmal flog er unter ihr, aber meistens neben ihr in unangenehmer Nähe. Er flog sehr gut und gab Maris keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob er sich an ihre Ratschläge hielt oder nicht. Er wird keinesfalls leicht zu schlagen sein, dachte sie.
    Dann flog Val an ihr vorbei.
    Maris bekam einen Adrenalinschock und warf ihren Körper auf die linke Seite, um die Luftströmung einzufangen, die für seinen Vorsprung gesorgt hatte. Sie nannten ihn zwar Einflügler, aber in der Luft wußte er beide Flügel zu gebrauchen. Die Wettflüge gegen die Holzflügler hatten sie erschöpft. Ihre Reaktionen waren schwerfällig.
    Vor ihr, knapp außer Reichweite, bogen Vals Flügel knapp um die Felsennadel. Er wendete im Abwind, wie Maris bemerkte, flog einen etwas zu weiten Bogen, kam in eine unruhige Lage, konnte aber dennoch seinen Flug beschleunigen. Dann war er auf dem Weg zurück zur Klippe.
    Mit dem festen Vorsatz, ihn zu überholen, flog Maris gefährlich nahe an die Wendemarke heran. Ihre Flügelspitze streifte den Felsen, und die leichte Berührung warf sie zur Seite. Für einen entscheidenden Augenblick zog sie die Schlinge hoch und verlor das Gleichgewicht. Den Wind unter den Tragflächen verloren, sackte sie ab, und ihr Herz schlug bis zum Hals, bevor sie endlich wieder die Kontrolle gewann. Val hatte den Abstand zwischen ihnen vergrößert. Sie war froh, daß er ihren Schnitzer nicht gesehen hatte.
    Sie hatte an Höhe verloren, aber über den Felsen plötzlich einen starken Aufwind erwischt; sie stieg wieder. Halsbrecherisch schoß sie dahin und dachte nur daran, schnell auf Geschwindigkeit zu kommen. Unablässig legte sie sich von einer Seite auf die andere und suchte nach der Luftströmung, die sie benötigte. Und endlich fand sie sie.
    Die Strömung trug sie dicht an Val heran, aber über ihrer Absicht, ihn zu überholen, hatte sie das auftauchende Land

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