Kinder der Stürme
Hauch von Abenteuer und Romantik über den Fliegern.
In diesem Jahr wurden die Wettkämpfe auf Skulny, einer mittelgroßen Insel nordöstlich von Klein Shotan abgehalten. Seezahns Landfrau hatte für Sena und die Holzflügler ein Schiff gechartert, und ein Bote hatte soeben die Nachricht gebracht, daß es in dem einzigen kleinen Hafen der Insel auf sie wartete. Sie würden mit der Abendflut segeln.
„In der Dunkelheit zu segeln“, murmelte Sena und setzte sich neben Maris an den Frühstückstisch, „bedeutet Unglück.“
Kerr blickte von seinem Porridge auf. „Aber wir müssen mit der Flut auslaufen“, sagte er ernst. „Deshalb reisen wir heute nacht.“
Sena funkelte ihn mit dem gesunden Auge böse an. „Du kennst dich mit dem Segeln aus, was?“
„Ja, Ma’am. Mein Bruder Rac ist Kapitän auf einem Handelsschiff, einem großen Dreimaster, und mein anderer Bruder ist auch ein Seemann, aber er ist nur Matrose auf einer Kanalfähre. Ich selbst wollte auch Seemann werden, bevor ich nach Holzflügel kam, denn die Seefahrt kommt dem Fliegen am nächsten.“
Sena erschauderte. „Wie Fliegen ohne Kontrolle, wie Fliegen mit Gewichten, die dich in die Tiefe zerren, wie Blindflug, ja, das ist Segeln.“
Sie hatte so laut gesprochen, daß alle sie gehört hatten. Überall im Raum erschallte Gelächter. Kerr errötete und konzentrierte sich auf seinen Teller.
Maris sah Sena freundlich an und versuchte, um Kerrs Willen, nicht zu lachen. Obwohl Sena nun schon jahrelang an den Boden gebunden war, hatte sie die beinahe abergläubische Angst der Flieger vor Seereisen nicht verloren.
„Wie lange wird es dauern?“ fragte Sena.
„Oh, es heißt, drei Tage mit Zwischenstation auf Sturmstadt, wenn die Winde günstig stehen. Aber was spielt das für eine Rolle? Entweder wir kommen dort an, oder wir gehen alle unter.“ Die Lehrerin musterte Maris. „Fliegst du heute nach Skulny?“
„Ja.“
„Gut“, sagte Sena und streckte den Arm aus, um Maris zu berühren. „Dann gehen wenigstens nicht alle unter. Für den Wettkampf stehen uns zwei Flügelpaare zur Verfügung. Es wäre Schwachsinn, sie mit dem Boot zu transportieren …“
„Schiff“, unterbrach sie Kerr.
Sena sah ihn an. „Boot oder Schiff, es wäre in jedem Fall Schwachsinn. Viel klüger wäre es, sie zu gebrauchen. Könntest du zwei Studenten mitnehmen? Der lange Flug wird eine gute Übung für sie sein.“
Maris sah den Tisch entlang und bemerkte, daß alle Anwesenden in Hörweite still geworden waren. Kein Löffel wurde gehoben, kein Lippenpaar bewegte sich, alles wartete auf ihre Antwort.
„Das ist eine gute Idee“, sagte Maris lächelnd. „Ich werde S’Rella mitnehmen und …“ Sie zögerte und versuchte eine Entscheidung zu treffen.
Zwei Tische weiter legte Val seinen Löffel hin und stand auf. „Ich werde mitgehen“, sagte er.
Maris Blick traf seinen. „S’Rella und Sher oder Leya“, sagte sie hartnäckig. „Sie brauchen den Flug am nötigsten.“
„Dann bleibe ich bei Val“, sagte S’Rella ruhig.
„Und ich würde lieber mit Leya fliegen“, fügte Sher hinzu.
„S’Rella und Val werden fliegen“, sagte Sena gereizt, „und nun will ich nichts mehr darüber hören. Wenn der Rest von uns auf See stirbt, haben sie gute Chancen, Rieger zu werden und können unser Andenken in Ehren halten.“ Sie schob ihren Porridgeteller beiseite und drehte sich auf der Bank um. „Nun muß ich unseren Mäzen, die Landfrau, treffen und etwas Unterwürfigkeit heucheln. Wir sehen uns dann, bevor ihr nach Skulny aufbrecht.“
Maris hörte ihr kaum zu. Wie gebannt starrte sie in Vals Auj*en. Er lächelte ihr geheimnisvoll zu, sprang dann auf und folgte Sena. Auch S’Rella verließ darauf den Raum.
Plötzlich bemerkte Maris, daß Kerr mit ihr sprach. Sie rüttelte sich wach und lächelte ihn an. „Entschuldige bitte, ich habe nicht zugehört.“
„So gefährlich ist es nun auch wieder nicht“, sagte er ruhig. „Wenigstens nicht von hier nach Skulny. Man ist nur wenige Meilen auf offener See, wenn das Schiff von Klein Shotan nach Skulny fährt. In erster Linie segeln wir die Küste von Shotan entlang, immer in Sichtweite vom Land. Außerdem sind die Schiffe viel widerstandsfähiger als sie denkt. Mit Schiffen kenne ich mich aus.“
„Das glaube ich, Kerr“, sagte Maris. „Sena denkt eben wie ein Flieger. Wenn man einmal die Freiheit der eigenen Flügel genossen hat, fällt es einem schwer, Seereisen zu unternehmen und sein Leben den
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