Kinder der Stürme
allem arbeiten.
Nur Val Einflügler tat, was er wollte. Maris beobachtete ihn wie alle anderen aus der Ferne und sprach wenig. Sie beantwortete seine Fragen, gab ihm gelegentlich gute Ratschläge, wenn er sie darum bat, und behandelte ihn ansonsten äußerst vorsichtig und mit gebührendem Abstand.
Sena ging vollständig in der Fliegerei ihrer Schützlinge auf und bemerkte von alldem nichts. Aber die Holzflügler ergriffen für Maris Partei und hielten sich von Val fern. Er trug seinerseits dazu bei, daß sich die Situation verschlimmerte. Er hatte eine scharfe Zunge, und es war ihm völlig gleichgültig, ob er sich dadurch Feinde machte oder nicht. So sagte er Kerr auf den Kopf zu, daß er ihn für einen hoffnungslosen Fall hielt, was den Jungen natürlich sehr verstimmte, und über den stolzen, eigensinnigen Damen machte er sich lustig, indem er ihn immer wieder bei Übungsrennen schlug. Die Studenten, allen voran Damen, Liane und ein paar andere, nannten Val nun in aller Öffentlichkeit Einflügler. Aber selbst wenn es ihn ärgerte, so ließ er sich nichts anmerken.
Val war aber nicht vollständig isoliert, denn obwohl ihn alle mieden, blieb ihm noch S’Rella. Sie war mehr als höflich zu ihm. Sie suchte ihn auf, bat ihn um Rat und aß mit ihm. Immer wenn Sena zwei Studenten ein Rennen austragen ließ, bat S’Rella darum, Val herausfordern zu dürfen.
Maris hieß ihre Handlungsweise gut. Wenn sie sich mit einem stärkeren Flieger maß, würde ihr das helfen, ihre Schwächen rasch zu beseitigen. Maris wußte, daß S’Rella dieses Jahr die Flügel gewinnen konnte. Aber es gab auch noch andere, weniger praktische Gründe, warum sich S’Rella zu Val hingezogen fühlte. Das schüchterne Mädchen aus dem Süden war immer ein Außenseiter unter den Holzflüglern gewesen, denn alle anderen kamen aus dem Westen. Sie kochte anders, kleidete sich anders, trug ihr Haar anders, sprach mit einem leichten Akzent und erzählte auch fremdartige Geschichten, wenn sich die Studenten zur Plauderstunde versammelten. Val Einflügler kam aus dem Osten, auch er war ein Außenseiter. Deshalb ist es nur natürlich, sagte sich Maris, daß diese beiden einsamen Vögel gemeinsam fliegen.
Trotzdem beunruhigte es Maris, die beiden ständig zusammen zu sehen. S’Rella war jung und leicht zu beeindrucken. Maris wollte nicht, daß sie Vals Ideen übernahm. Außerdem würde sie eine so enge Verbindung mit Einflügler bei den anderen Fliegern unbeliebt machen, und S’Rella war sehr leicht zu verletzen.
Aber Maris schob ihre Sorgen beiseite und unternahm nichts. Jetzt war nicht die Zeit für private Reibereien, sie mußte die Holzflügler auf etwas Wichtigeres vorbereiten.
Am Ende des täglichen Trainings flog Maris immer gegen jeden Studenten einzeln. Am vorletzten Tag vor der Abreise zu den Wettkämpfen blies ein starker Nordwind und schnitt eisig in die Gruppe zitternder Studenten. Von Minute zu Minute wurde es kälter.
„Ihr braucht nicht zu warten“, sagte ihnen Maris. „Es ist zu kalt, um hier herumzustehen. Wenn ich mit einem von euch geflogen bin, dann helft dem nächsten Studenten mit den Rügein, danach könnt ihr ins Haus gehen.“
Der dauernde Flugeinsatz hielt Maris warm, aber er ermüdete sie auch. Schließlich, als all ihre Glieder schmerzten und sie die Kälte zu spüren begann, sah Maris, daß sie mit Val allein auf der Sprungklippe stand.
Verblüfft hielt sie inne. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß er warten würde. Und nun mit ihm ein Rennen zu fliegen, wo er frisch war und sie so müde … Sie blickte in den aufgewühlten Purpurhimmel und leckte getrocknetes Salz aus den Mundwinkeln.
„Es ist schon fast zu spät für einen Flug“, sagte sie. „Die Winde sind ungestüm, und es wird bereits dunkel. Wir können ein anderes Mal ein Rennen austragen.“
„Die Winde machen es zu einer richtigen Herausforderung“, sagte er. Seine Augen suchten kühl die ihren, und Maris wurde schweren Herzens bewußt, daß er lange auf diesen Augenblick gewartet hatte.
„Sena wird sich Sorgen machen“, begann sie schwach.
„Ich verstehe, wenn die Fliegerei gegen die Holzflügler dir die Kraft geraubt hat …“
„Früher bin ich dreißig Stunden ohne Pause geflogen“, sagte sie. „So ein Nachmittag mit Kinderspielchen schafft mich nicht.“
Sein Lächeln schien sie zu verspotten: ganz offensichtlich war sie ihm in die Falle gegangen.
„Leg deine Flügel an“, sagte Maris.
Sie bot ihm keine Hilfe an. Ihr war
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