Kinder der Stürme
Matrosen und Steuermännern anzuvertrauen.“
Ken* kaute an seiner Unterlippe. „Ich glaube, ich weiß, was du meinst“, sagte er, ohne überzeugt zu sein. „Aber wenn alle Flieger so denken, haben sie keine Ahnung. Es ist nicht so gefährlich, wie sie sagt.“ Zufrieden widmete er sich wieder seinem Frühstück.
Nachdenklich aß Maris weiter. Er hatte recht, bemerkte sie mit einer Spur von Sorge. Flieger dachten oftmals recht engstirnig und beurteilten alles nur aus ihrer Perspektive. Aber der Gedanke, daß Vals radikale Verachtung des Standes gerechtfertigt sein könnte, bedrückte sie stärker, als sie wahrhaben wollte.
Nach dem Frühstück wollte sie S’Rella und Val aufsuchen. Die beiden befanden sich weder in ihren Zimmern noch an den anderen Orten, wo sie sie vermutete. Auch schien niemand zu wissen, wohin sie gegangen waren, nachdem sie den Gemeinschaftsraum verlassen hatten. Maris lief durch die dunklen kühlen Gänge und bog immer dann ab, wenn sie in einem neuen Gang Wandfackeln vorfand. Schließlich hatte sie sich hoffnungslos verlaufen.
Sie wollte schon um Hilfe rufen, mußte dann aber über ihre Hilflosigkeit in diesem Felslabyrinth lachen, als sie plötzlich weit entfernte Stimmen vernahm. Sie hielt darauf zu. Eine Biegung nach rechts, und sie hatte sie gefunden. Die beiden saßen dicht nebeneinander in einem kleinen Erker, dessen Fenster zur See hinausging. Die Intimität, mit der sie aneinander lehnten und miteinander sprachen, sagte Maris, daß sie sich ankündigen sollte.
„Ich habe euch überall gesucht“, sagte sie abrupt.
S’Rella wandte sich halb um und stand auf. „Was gibt’s?“ fragte sie eifrig.
„Wir fliegen nach Skulny, wie ihr wißt“, sagte Maris. „Könnt ihr in einer Stunde fertig sein?“
„Ich bin sofort fertig“, sagte S’Rella, und ihr Lächeln versetzte Maris’ Groll einen Dämpfer. „Ich war so glücklich, als du mich vorgeschlagen hast, Maris. Du ahnst gar nicht, was es für mich bedeutet.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht und machte einen Schritt vorwärts, um Maris zu umarmen.
Maris drückte sie ebenfalls. „Ich glaube, ich weiß es“, sagte sie. „Nun geht und macht euch fertig.“
S’Rella verabschiedete sich kurz von Val und verschwand. Maris blickte hinter ihr her und wandte sich dann zögernd Val zu.
Val sah den Gang entlang, in dem S’Rella verschwunden war. Er lächelte, und Maris spürte, daß sein Lächeln ein Gefühl der Zärtlichkeit ausdrückte. Es ließ ihn freundlicher und menschlicher erscheinen.
Dann fingen seine Augen Maris ein. Sofort veränderte sich sein Gesicht. Das Lächeln spielte nun nur noch leicht um seine Mundwinkel. Jetzt betraf es Maris und drückte Spott und Feindseligkeit aus. „Ich habe dir noch nicht dafür gedankt, daß du mich vorgeschlagen hast“, sagte er. „Ich war so glücklich, als du sagtest, ich dürfte mit dir fliegen.“
„Val“, sagte Maris abgespannt, „wir mögen uns zwar nicht, aber wir haben einen langen gemeinsamen Flug vor uns. Du könntest wenigstens versuchen, höflich zu sein. Hör auf, dich über mich lustig zu machen. Wirst du nun packen gehen?“
„Ich habe gar nicht erst ausgepackt“, sagte er. „Ich werde Sena meine Tasche geben und mein Messer tragen. Das ist alles. Sei unbesorgt. Ich werde pünktlich sein.“ Er zögerte. „Und ich werde dich auf Skulny nicht belästigen. Wenn wir gelandet sind, werde ich mir eine eigene Unterkunft suchen. Ist das fair genug?“
„Val“, begann Maris. Aber er hatte sich umgedreht und starrte aus dem kleinen Fenster, hinaus auf den bewölkten Himmel. Sein Gesicht sah kalt und verschlossen aus.
Sena führte die anderen auf die Sprungklippe, um Maris’, S’Rellas und Vals Abflug zu beobachten. Alle waren in ausgelassener Stimmung. Sie lachten und scherzten und wetteiferten um das Privileg, Maris und S’Rella beim Anlegen der Flügel helfen zu dürfen. Ihre unbändige Fröhlichkeit wirkte ansteckend. Auch Maris hatte gute Laune und war zum ersten Mal auf die Wettkämpfe gespannt.
„Laßt sie los, laßt sie los“, rief Sena lachend. „Sie können nicht fliegen, wenn ihr an ihren Flügeln hängt.“
„Ich wünschte, sie könnten es“, murmelte Kerr. Und rieb sich die Nase, die vom frischen Wind ganz rot geworden war.
„Ihr werdet eure Chance bekommen“, sagte S’Rella entschuldigend.
„Niemand mißgönnt euch den Flug“, sagte Leya schnell.
„Ihr seid die besten“, ergänzte Sher.
„Viel Glück“, sagte Sena
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