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Kinder des Donners

Kinder des Donners

Titel: Kinder des Donners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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ihrer Tochter, die durch den Ein- satz ihres magischen Hauchs unterstützt wurden, war Edna immer mehr in Trübsinn verfallen. Sie hatte ange- fangen, übermäßig zu trinken, und mied die Gesell- schaft anderer Menschen. Oftmals blieb sie tagelang oh- ne Unterbrechung zu Hause. Wenn sie einkaufen gehen
mußte, kaufte sie wahllos allerlei Zeug und stopfte die Tiefkühltruhe paketweise mit Essen voll, das später un-
berührt weggeworfen werden mußte. Mary, die jetzt ei- ne so nahegelegene Schule besuchte, daß sie sie mit dem Fahrrad erreichen konnte, schwänzte häufig den Unterricht aus dem einzigen Grund, weil sie ihre Mutter
nicht aus den Augen lassen wollte. Wenn Lehrer kamen, um nachzusehen, was los war, hatte sie natürlich keine Mühe, sie beschwichtigt wieder wegzuschicken, doch diese Aufgabe kostete sie Kräfte, und manchmal merkte
sie, wie erschöpft sie durch die Anwendung ihrer Macht war.
    Darüber hinaus machte sie sich allmählich darüber Sorgen, was sie eigentlich getan hatte. Hatte Richard sein Schicksal wirklich verdient? Schließlich war sie nur von den Aussagen ihrer Mutter ausgegangen. Zugege-
    ben, er hatte seine Frau einigen sehr unerfreulichen Er- fahrungen ausgesetzt, doch wenn er das nicht getan hätte, dann gäbe es Mary heute überhaupt nicht...
    Voller Schuldgefühl schrieb sie ihm Briefe, in denen sie ihn anflehte, ihr den Seelenfrieden wiederzugeben, ihr zu beteuern, daß er ihr vergeben habe — und dann zerriß sie sie und spülte sie in den Toilettenabfluß hin- unter aus Angst, Edna könnte die Schnipsel aus dem Papierkorb herauskramen und zusammensetzen. Von Zeit zu Zeit wehrte sie sich auf dem Schulweg gegen Schmähungen von Mitschülerinnen, die erfahren hatten (böse Zungen waren lang, ach so lang), daß ihr Vater im Gefängnis saß, und focht unsinnige und fruchtlose Streitereien aus. Warum, so fragte sie sich, fiel ihr nie- mals ein, statt dessen ihre Magie einzusetzen?
    Wenn sie jedoch in ruhiger, ausgeglichener Stim- mung war, kam ihr dieser Gedanke niemals in den Sinn. Und wenn sie bis zur Weißglut gereizt war, dann war sie nicht in der Lage, ihre Vorzüge auszunutzen. Manchmal, mitten in der Nacht, lag sie da und starrte die Decke ihres Schlafzimmers an, und dann heckte sie
Racheakte aus, mit denen sie es denen, die sie am mei- sten quälten, heimzahlen würde, bis sie mit einem zu-
friedenen Schmunzeln einschlief. Aber am nächsten
Morgen war sie stets so sehr von anderen Dingen in
Anspruch genommen, daß sie sich nicht mehr an ihre
Pläne erinnern konnte, und sie verblaßten so unwieder- bringlich wie Träume.
    Jetzt stand der Winter vor der Tür, und die Einsam- keit des Hauses lastete auf ihrem Gemüt. Sie war seit ei- ner ganzen Woche nicht mehr in der Schule gewesen; ja, tatsächlich war es genauso lange her, seit sie sich ge-
zwungen hatte, weiter als bis zur Gartentür nach drau-
ßen zu gehen. Edna hatte schon seit mindestens genau- so langer Zeit kein Bad mehr genommen und verbrachte
den größten Teil des Tages in ihrem Morgenmantel, der längst fällig für die Wäsche war. Früher hatte sie sehr
    wenig geraucht, wenn überhaupt, doch jetzt qualmte sie bis zu vierzig Zigaretten am Tag, und die Luft roch stän- dig nach Schweiß und Kippen. Um die Schwierigkeiten noch zu vervollkommnen, hatte Marys Periode einge- setzt. Wieder mal hatte sie ihre Magie eingebüßt.
    Jedesmal weinte sie viel in den Tagen, solange sie an- dauerte. Hin und wieder verwünschte sie sich selbst.
    Es klingelte an der Tür.
    »Ich bin nicht zu Hause«, fauchte Edna und griff er- neut nach einer Zigarette. Der Regen trommelte in ei- nem eintönigen Rhythmus gegen die bleiverglasten
Fenster, die dem Landhaus einen >nostalgischen Char- me< verleihen sollten, in Wirklichkeit jedoch hauptsäch- lich den Einfall des Tageslichts einschränkten. Sie tat so,
als ob sie in einem Buch lesen würde, doch ihr Blick schweifte immer wieder ab, um der Wiederholung einer Spielsendung im Fernsehen zuzuschauen. Mary konnte
sich nicht vorstellen, warum; der Ton war abgestellt.
    Es klingelte ein zweites Mal, länger und drängender.
    »Na schön«, seufzte Mary und erhob sich mühsam, als ob sie mit einemmal das Doppelte ihres Gewichts zu schleppen hätte. Nervös verfolgten sie Ednas Augen aus dem Zimmer.
    Im schmalen Eingangsflur des Hauses, längs zu ei- nem Fenster neben der Tür, hing ein Spiegel, der dazu
gedacht war, daß man seine äußere Erscheinung einem prüfenden Blick unterzog, bevor man

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