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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Leben spenden, anstatt es zu rauben?
    Frauen wie sie und Maura, wie ihre einstige Amme, wie ihre unbekannte Mutter, die sie fortschickte, wie jene mächtige, böse Frau, die es auf ihr Leben abgesehen hatte.
    »Nach dem Überfall …«, fuhr Maura stockend fort, »habe ich mich … ins Männerkloster gerettet und mit dem Abt gesprochen. Er hat mich … zu meiner Mutter zurückgeschickt, die mittlerweile … an Alanus Schiefbarts Hof lebte … in ihrer Nähe. Ja, dort … habe ich die meiste Zeit verbracht, nicht in einem Kloster. Immer wieder … bin ich in die Normandie zurückgekehrt, um dich zu töten. Immer wieder … war ich in deiner Nähe, und du hast es nicht gewusst.«
    »Alanus Schiefbart«, versuchte Mathilda die verworrenen Worte Mauras zu begreifen. »Er ist der Herrscher der Bretagne, zumindest versucht er es zu sein. Er hat sie in den letzten Jahren Stück für Stück zurückerobert und sich als würdiger Erbe seines Großvaters, Alanus des Großen, erwiesen.«
    Ein würdiger Erbe …
    Du bist die Erbin …
    War sie eine Gefahr für Alanus, und musste sie deshalb sterben? Wer aber war dann die böse Frau – Alanus’ Weib oder seine Mutter? Und was meinte Maura damit, als sie sagte: Du bist nicht nur die Tochter eines Nordmannes, das allein macht dich nicht gefährlich. Aber du bist auch das Kind … das Kindeskind von …
    Von wem?
    Noch etwas anderes kam Mathilda in den Sinn, die Worte jener weinenden Frau: Dein Vater konnte ein böser Mann sein. Er hat großes Unglück über deine Mutter gebracht.
    Je mehr sie erfuhr, desto größer wurde ihre Verwirrung. Wenn sich die Nebeldecke an einer Stelle lichtete, senkte sich an anderer neues, noch dichteres Grau herab.
    Maura hustete, ein Schwall Blut sprudelte über ihre Lippen, nicht von weißen Bläschen durchsetzt, sondern tiefrot. Ehe Mathilda noch weitere Fragen stellen konnte, bäumte sich ihr Körper ein letztes Mal auf, dann fiel ihr Kopf nach hinten. Der Tod brach ihren Blick, und als Mathilda in die leeren Augen starrte, neidete sie Maura kurz die große Stille, die sie nun umgab. Es war kein Sieg, in dieser besudelten Welt zu bleiben, während die Seele der anderen sich federleicht davon erheben konnte.
    »Was habe ich getan?«, seufzte Mathilda. »Was habe ich nur getan?«
    Ihre Worte verklangen, niemand wurde Zeuge ihrer Reue, niemand konnte ihr etwas von der Schuld nehmen, von der erbärmlichen Einsicht, dass sie nun wusste, dass sie töten konnte, aber immer noch nicht, wer sie war.
    Sie wollte Mauras Augen verschließen, als plötzlich Schritte näher kamen.
    Sie fuhr herum, sah an der Tür eine Nonne stehen und sah sich kurz selbst mit fremden Augen, wie sie da neben einem blutüberströmten Leichnam hockte. Es war zu spät zu fliehen.
    »Ich wollte nicht … mir blieb keine Wahl …«
    Ihre Worte versiegten. Dort, wo Leben und Tod sich treffen, hat die Sprache keinen Platz.
    Die Nonne, die sie ertappte, war eine von jenen, die mit Maura nach Sainte-Radegonde gekommen waren. Sie schrie auf – und anders als Mathilda konnte sie das Unaussprechliche in Worte fassen.
    »Sie hat Maura getötet! Diese Heidin hat Maura getötet! Sie steht mit den Nordmännern im Bund!«
    Arvid schreckte hoch und wusste kurz nicht, wo er war und zu welcher Tageszeit er erwachte. In seinem Mund schmeckte es bitter, zwischen den Zähnen fühlte er Reste des flachsigen Fleisches, das zu Mittag serviert worden war. Für gewöhnlich gab es Bohnen mit Schmalz und dann und wann Dörrfleisch. Heute war jedoch der Namenstag eines Mitbruders und darum etwas Nahrhafteres auf den Tisch gekommen, eine willkommene Stärkung für einen wie ihn, der viel im Freien, vor allem aber sehr schwer arbeitete.
    Jeder Muskel hatte anfangs geschmerzt, als er – wie in früheren Zeiten – wieder damit begonnen hatte, Steine zu schleppen. In seinen Handinnenflächen hatten sich Blasen gebildet, waren aufgeplatzt und eiterten. Nach einer Weile hatte er keine Schmerzen mehr gefühlt, nur Taubheit, und schließlich waren seine Muskeln hart, die Hände schwielig, die Schultern breit geworden. Dass er sich an seine Arbeit gewöhnt hatte, bedeutete nicht, dass sie ihn nicht oft erschöpfte – so auch jetzt, da er ausgerechnet in der Kapelle eingeschlafen war. Mit müden Augen blickte er sich um. Was hatte ihn geweckt? Das Trippeln von Mäusen, derer sie niemals ganz Herr wurden? Ein böser Traum, in dem gesichtslose Menschen mit Messern fuchtelten? Dieses Gefühl von Bedrohung, das auch

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