Kinder des Feuers
üblicher Zwist mit den Brüdern aus Poitiers war ein nichtiges Ungemach, gemessen an der Gefahr, die in der Luft lag und die er schon gewittert hatte, als er erwacht war. Er presste die Hand vor den Mund, als er hörte, wie Berengar fortfuhr: »Er ist nicht einfach nur Novize. Er soll der Sohn Gislas sein, Ludwigs älterer Bastardschwester. Und obendrein das Kind eines Normannen.«
»Etwa das Kind Rollos?«, fragte Pepin aufgeregt. »Gisla soll doch vor der Hochzeit mit ihm gestorben sein.«
»Nun, so genau weiß man es nicht. Gisla hat offenbar länger gelebt, und zwar als Äbtissin eines Klosters.«
»Wie kann sie dann Mutter eines Sohnes sein?«, fragte Pepin verwirrt.
»Der ist natürlich zuvor zur Welt gekommen«, erklärte Berengar deutlich ungeduldig. »Was sich genau zutrug, kann ich nicht sagen. In jedem Fall ist Arvid König Ludwig ein Dorn im Auge. Es reicht ihm, sich mit Richard herumzuschlagen. Ein möglicher weiterer Erbe ist mehr als nur einer zu viel.«
»Du meinst …? Er will …? Aber Abt Martin kann doch nicht …«
Arvid ballte seine Hände zu Fäusten, bis seine Knöchel hervortraten. Was Pepin ehrlich erschütterte, ließ den anderen kalt.
»Natürlich kann er nicht selbst Arvids Blut vergießen. Aber Ludwig davon Kunde tun, dass dieser lebt und obendrein hier, ja, ihn an ihn ausliefern – das kann er. Und somit ein klares Zeichen setzen, auf welcher Seite er steht und dass er alles hasst, was mit den Heiden zu tun hat. Und Heiden sind die meisten der Normannen, mag Wilhelm auch noch so fromm gewesen sein.«
Die letzten Sätze waren zunehmend leiser geworden. Auch an den Schritten, die sich langsam entfernten, erkannte Arvid, dass Berengar es bei seinen Enthüllungen bewenden und Pepin keine Zeit geben wollte, daran Anstoß zu nehmen.
Arvid war wie erstarrt. Er blickte auf seine schwieligen Hände, die eigentlich nichts mit denen eines Mönchs zu tun hatten und deren Anblick ihn stets mit Befriedigung erfüllt hatte, bekundeten sie doch seinen Fleiß, und die verhornte Haut ließ die Hoffnung zu, sein Gemüt wäre ähnlich abgehärtet. Doch als er sich die Worte der beiden Mönche wieder und wieder ins Gedächtnis rief, tat jedes einzelne weh wie spitze Pfeile. Kein Schild war da, die nackte Seele davor zu schützen.
Unerträglich schmerzhaft war die Lüge – jene von Abt Martin, der ihm doch versprochen hatte, sein Geheimnis sei bei ihm sicher. Und jene sich selbst gegenüber, als er sich vorgemacht hatte, er wäre nun endlich angekommen, habe seine Bestimmung gefunden, einen sicheren Hafen. Er hätte weniger hart an Steinen geschleppt, hätte er nicht jene fremde Macht in sich gewittert, die es zum Schweigen zu bringen galt. Jetzt schwieg sie nicht, die Stimme seines Blutes, jetzt zeugte diese neben Schmerz und Fassungslosigkeit auch Zorn.
»Gütiger Gott, steh mir bei«, murmelte er.
Er durfte dem Zorn nicht nachgeben. Abt Martin zur Rede zu stellen konnte bedeuten, sein Leben zu riskieren. Nein, er musste bedächtig handeln, um dieses Leben zu schützen, vor allem aber, um ihm einen Sinn zu geben, an dem Verräter und Intriganten nicht rühren konnten.
Mathilda starrte die Schwester an, die zu schreien begonnen hatte, und noch größer als das Entsetzen, dass man sie über einer Toten kniend und mit einem blutbefleckten Messer in der Hand entdeckt hatte, war die Empörung über die Lüge.
Sie stünde mit den Heiden im Bund? Was für ein Unsinn!
Dann aber traf sie die Erkenntnis, dass sie, die immer noch nicht die Wahrheit über sich wusste, auch die Lügen nicht als solche abtun konnte. Und ob nun jener Vorwurf stimmte oder nicht – sie hatte Maura getötet, und es gab niemanden, der bezeugen konnte, dass sie es nur getan hatte, um ihr eigenes Leben zu schützen.
Sie wusste nicht, was mit einer Nonne geschah, die man des Mordes überführte. Ein solcher war eine zu schlimme Sünde, um sie sich samt der gerechten Strafe auszumalen. Sie wusste nur: Auch wenn sie mit dem Leben davonkam, würde es nie wieder ein Leben sein, wie sie es führen wollte.
Sie sprang auf, ging auf die Schwester zu. So eindringlich diese auch geschrien hatte, so feige zeigte sie sich jetzt. Sie wich zurück, als würde ihr Atem sie vergiften.
Mathilda verschwendete keine Zeit, sich zu verteidigen. Sie stürmte aus der Krankenstube und rannte an den Mitschwestern vorbei, die von dem Geschrei herbeigerufen wurden, nun verwirrt auf Mathildas blutverschmierte Hände starrten, aber zu schockiert
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