Kinder des Feuers
jetzt noch auf seinen Schultern lastete, obwohl er längst von seinem Alb erwacht war?
Arvid rieb sich die Augen und schluckte gegen den schalen Geschmack an. Für gewöhnlich gelang es ihm, sämtliche Gedanken und Gefühle mit der harten Arbeit zu betäuben. Doch gleichwohl seine Glieder seltsam schwer und schlaff schienen, war sein Geist hellwach und witterte Gefahr.
Er unterdrückte das Unbehagen und wollte sich erheben, um nach Ablenkung zu suchen, als er plötzlich die Stimmen hörte. Also war er doch nicht ganz allein in der Kapelle, und jetzt sah er sie auch – zwei Brüder, die einst mit Abt Martin aus Poitiers hergekommen waren, standen hinter einer Säule und tuschelten miteinander.
Da er so tief in den Betstuhl gesunken war, hatten sie ihn nicht gesehen.
Arvid duckte sich wieder. Die beiden hießen Pepin und Berengar, und er mochte keinen von beiden. Die Brüder hatten von Anfang an auf die Mönche aus Jumièges herabgesehen und fühlten sich als Gönner, die das Kloster retteten, obwohl es Letztere waren, die sich immer darum gekümmert hatten.
Arvid behandelten sie besonders verächtlich – und mehr als einmal fragte er sich, ob Abt Martin, der alles über seine Herkunft wusste, sein Geheimnis leichtfertig hinausposaunt hatte, obwohl er mit ihm selbst nicht mehr darüber sprach. Es war auch selten geworden, dass der Abt von ihm eine Einschätzung der politischen Lage erbat. In den ersten Monaten nach Wilhelms Tod hatte er regelmäßig die Neuigkeiten, die aus Rouen und Laon kamen, mit ihm besprochen – in letzter Zeit nicht mehr. Arvid war das eigentlich recht gewesen. Er schleppte lieber Steine, als sich Gedanken zu machen und diese in kluge Worte zu fassen. Jetzt bedauerte er es ein wenig – denn er hätte zu gern gewusst, was gemeint war, als Bruder Pepin erklärte: »Die Entscheidung wird noch in diesem Jahr fallen.«
Zumindest Berengar verstand die Andeutung. »Das glaube ich auch«, sagte er eifrig. »König Ludwig hat in der Tat lange genug gewartet.«
»Ich denke, das Volk hat längst vergessen, dass es Richard überhaupt noch gibt.«
Arvid schüttelte den Kopf. Diese Behauptung war Unsinn, wie die vielen Pilger bewiesen, die in den letzten Jahren nach Jumièges gekommen waren, um hier für Richard zu beten. Ihr Strom wäre längst versiegt, sähen die Menschen der Normandie in ihm nicht den wahren Erben.
»Abt Martin«, fuhr Pepin indes fort, »hat sich in den letzten Jahren klug verhalten … er darf die Normannen rund um Bernhard den Dänen nicht vor den Kopf stoßen …«
»… und er muss sich«, führte Berengar den Satz zu Ende, »gleichzeitig bei Ludwig lieb Kind machen.«
Wieder musste Arvid die Regung unterdrücken, zu widersprechen. Gewiss, er kannte Abt Martins Ansichten. Jener hatte ihm deutlich bekundet, dass ihm lieber wäre, die Normandie fiele zurück ans fränkische Reich, doch es war ein Unterschied, insgeheim Wünsche zu hegen oder sich bei König Ludwig offen anzubiedern. Nichts hatte je darauf hingedeutet, dass Abt Martin dies versuchte.
Doch als die beiden Mönche fortfuhren, wurde Arvid nachdenklich.
»Soweit ich weiß, schreibt er Ludwig jeden Monat einen Brief und versichert ihm, für seine Ziele zu beten«, sagte Berengar.
»Was klug ist, aber womöglich nicht ausreicht, Ludwigs Misstrauen zu zerstreuen«, gab Pepin zu bedenken. »Und jenes ist groß, bedenkt man die Umstände, unter denen er einst auf den Thron kam.«
»Nun«, Arvid konnte förmlich hören, dass Berengar grinste, »dem Abt ist überdies eingefallen, wie er Ludwig seine Treue nicht nur mit frommen Gebeten bekunden kann.«
»Was will er tun?«
»Er will ein Geheimnis nutzen.«
»Welches Geheimnis?«
Berengar machte eine vielsagende Pause. Obwohl Arvid den Wortwechsel zunächst als dummes Geschwätz abgetan hatte, konnte er nun nicht anders, als den Atem anzuhalten. Er hatte keine Ahnung, worauf Berengar hinauswollte.
»Nun«, begann der nach einer scheinbaren Ewigkeit gedehnt, »das Geheimnis um einen unserer Mitbrüder.«
»Welchen?«
Arvid ahnte die Antwort und erbleichte. Er hörte nicht, wie Berengar seinen Namen aussprach, denn der neigte sich nun vor und raunte ihm Pepin ins Ohr. Jener kannte gleiche Vorsicht nicht.
»Bruder Arvid?«, rief er sensationsheischend. »Welches Geheimnis kann Arvid haben, das Abt Martin nutzt, den König für sich einzunehmen? Er ist doch nur Novize.«
In jedem anderen Moment hätte ihn die Verachtung erbost, die in Pepins Stimme lag, doch
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