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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nicht vergessen hatte, wer sie war. Aber jetzt … jetzt war es zu spät … jetzt war sie kein Kind mehr und die Frau eine Fremde.
    »In dieser Zeit«, fuhr Hawisa fort, »da der Niedergang der Bretagne unaufhaltsam schien, fielen die Nordmänner – von Alanus dem Großen noch in Schach gehalten – in Scharen ein.«
    Langsam drehte sie sich wieder um und gab Mathilda die Zeit, ihr Gesicht zu mustern. Bis jetzt hatte sie nur gesehen, dass sie hager war, die Haut schlaff und die Haare grau – nun suchte sie nach irgendetwas, was ihr vertraut war. Wenn diese Frau ihre Mutter war, müsste sie sie doch erkennen! Warum war sie ihr fremder als der blonde Mann in ihrem Traum, fremder als diese andere gesichtslose Frau, die einst bei ihrem Abschied geweint hatte?
    »Und mein Vater … Rögnvaldr … war einer von ihnen, nicht wahr?«, murmelte Mathilda. »Groß, blond, stark. Nach seinem Tod hast du mich ins Kloster bringen lassen, damit ich dort in Sicherheit bin …«
    Falls die Worte an einen alten Schmerz rührten, ließ Hawisa ihn sich nicht anmerken. »Man hat mir verschwiegen, welches Kloster es ist«, erklärte sie ganz nüchtern. »Ich wollte es nicht wissen, es wäre zu gefährlich gewesen. Man hätte mich foltern können, bis ich es gestehe. So hat es lange gedauert, bis ich dich aufspüren konnte. Länger, als ich je ahnen konnte.«
    Mathildas Blick fiel auf die Kette, die Hawisa um den Hals trug. »Stammst du auch von den Nordmännern ab?«, fragte sie. Sie wusste nicht viel vom Glauben der Heiden, aber das Amulett, das die fremde Mutter trug, war ein Zeichen des Gottes Thor – auch den Christen bekannt, weil seine Form der des Kreuzes ähnelte.
    »Ich bin christlich geboren und erzogen worden«, sagte sie knapp, ohne hinzuzufügen, warum sich das geändert hatte.
    Dein Vater hat deiner Mutter Schreckliches angetan.
    Die Worte kamen Mathilda wie von selbst in den Sinn, und kurz wollte sie sie aussprechen, sehen, was sie im starren Gesicht der anderen bewirkten. Doch sie wagte es nicht. Sie war sich nun ganz sicher, dass sie nicht sterben würde – aber das nahm ihr nicht die Furcht, ließ diese vielmehr noch wachsen.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie leise.
    Sie fühlte sich nicht länger geborgen, wenn sie die einstige Umarmung des blonden Mannes heraufbeschwor, sondern fühlte nur Enttäuschung. Sie war in der Bretagne, aber es blühten keine Blumen – vielleicht, weil sie an den falschen Ort zurückgekehrt war, vielleicht, weil diese Blumen längst verblüht waren und hierzulande nirgendwo mehr neue wuchsen.
    »Innerhalb kürzester Zeit hat Rögnvaldr ein eigenes Reich errichtet, ähnlich wie einst Rollo in der Normandie«, fuhr Hawisa fort, und erstmals schlich sich ein Funkeln in ihre Augen. »Die Nachbarn waren natürlich empört darüber und versuchten, ihn zu vertreiben. Aber sie scheiterten allesamt.«
    Ihre Stimme klang so stolz, als hätte sie selbst jenen Mächtigen getrotzt, aber ihr Gesicht verdunkelte sich rasch, als Mathilda einwarf: »Doch jenes Reich war nicht von Bestand.«
    Hawisa nickte düster. »Rögnvaldr wollte sein Gebiet vergrößern, aber er kam nicht über den Fluss Oise hinaus. Immerhin – das Kernreich konnte er halten. Von Nantes aus kontrollierte er das Land, die Stadt blühte auf, auf der Insel unterhalb vom Kloster Saint-Florent wurde ein eigener Hafen gebaut und eine Burg. Händler, die zuvor geflohen waren, kamen wieder zurück. Auch nach Rennes und Cornouaille kehrte der Wohlstand zurück. Viele Nordmänner in Rögnvaldrs Gefolge erkannten, dass es hier nicht nur Klöster zu brandschatzen gab, sondern fruchtbaren Boden zu beackern. Anstatt Häuser niederzubrennen und ihre Bewohner zu töten, bauten sie selbst welche und lebten darin.« Sie hielt kurz inne. »Rögnvaldr war ein guter Herrscher.«
    Was meinte sie mit gut? Gnädig und gerecht, durchsetzungsfähig und weise? Oder einfach nur stark – stärker als seine Widersacher?
    »Aber er ist gestorben«, sagte Mathilda leise. »Er ist gestorben, ehe er seine Herrschaft festigen und dem Land endgültig Frieden schenken konnte, und die Männer, die er zurückließ, waren keine würdigen Nachfolger. Sie konnten Alanus Schiefbart nichts entgegensetzen – ihm, dem Christen, dem Nachfolger von Alanus dem Großen.«
    »Alanus Schiefbart ist sein Enkel. Und er ist der Sohn meiner Schwester.«
    Mathilda riss die Augen auf. Eben noch hatte sie gemeint, mit jenem Fünkchen Wissen ein wenig Klarheit ins Dunkel zu bringen.

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