Kinder des Feuers
sie, dass es ihre Lage nicht besser machte, wenn sie aus Trotz hungrig blieb.
Also begann sie endlich doch zu essen, einen Getreidebrei, würzig zwar, aber zu kurz gegart, und etwas gesalzenen Fisch, dazu einen Humpen abgestandenen Met. Sie schluckte hastig, ohne zu kauen, und ihr Magen rebellierte bald. Trotz der Übelkeit hörte sie nicht auf zu essen, und nachdem sie das Mahl beendet hatte, stellte sie sich der Wahrheit gegenüber nicht länger blind. In ihren Adern floss also das Blut von Alanus dem Großen, ihrem Großvater, und Rögnvaldr, ihrem Vater. Man wollte sie nicht töten, sondern zur Herrscherin der Bretagne machen, an Hasculfs Seite, den ihre Mutter nicht etwa zu ihrem Mörder, sondern zu ihrem Gatten bestimmt hatte. Und neben dieser Erkenntnis stand eine andere: Das will ich nicht. Das ist nicht mein Geschick.
Immer hatte sie sich nach einer Heimat gesehnt – jetzt wusste sie: Sie war zu lange von der Heimat fort gewesen, als dass diese etwas anderes war als Fremde. Immer hatte sie sich nach jemandem gesehnt, zu dem sie gehörte, nach einer Mutter, die ihr das Leben geschenkt hatte – jetzt wusste sie: Sie war zu lange von dieser Mutter getrennt gewesen, um in ihr etwas anderes zu sehen als eine Frau, in deren Augen der Wahnsinn glänzte.
Sie gehörte nicht zu ihr, sie gehörte zu Arvid.
»Rögnvaldr und Hawisa«, murmelte sie die Namen ihrer Eltern. Jede einzelne Silbe vertrieb das Rumoren in ihrem Magen. Sie würde sie in ihrem Leben noch oft aussprechen, würde sich dem behaglichen Gefühl hingeben, endlich zu wissen, von wem sie abstammte, würde voller Trauer an die Eltern denken, weil beide nicht bekommen hatten, was sie wollten – der eine lebte zu kurz dafür, die andere wahrscheinlich zu lange. Wenn sie je Kinder haben sollte, würde sie ihnen von ihren Vorfahren erzählen. Aber sie war mehr als nur deren Tochter. Sie war die Frau, die Richard aus Laon befreit hatte, die Frau, die in der Normandie ihr Leben führte, die Frau, die Arvid heiraten würde.
Mathilda zwang sich, sich auf den Strohsack zu legen, kurz die Augen zu schließen und neue Kräfte zu sammeln. Schon kurze Zeit später erhob sie sich wieder. Ihre Glieder schmerzten, aber ihr Geist war hellwach.
Sie musste fliehen.
Sie klopfte an die Tür, die bald geöffnet wurde. Der Mann, der Wache stand, war ihr fremd, er hatte nicht zu den Begleitern Hasculfs gehört, was es leichter machte, ihn zu überlisten.
»Ich will zu Hawisa«, erklärte sie. Der Mann senkte respektvoll den Blick. So hatte sie noch nie jemand behandelt – so voller Ehrerbietung. Er wies ihr den Weg, doch sie schüttelte den Kopf. »Bring sie hierher.«
Sie hoffte, dass der Respekt anhielt, und wurde nicht enttäuscht. Er ging rasch und sperrte sie nicht ein.
Mathilda atmete tief durch. Sie wusste nicht mehr von dem Gebäude, in dem sie sich befand, als dass es sich innerhalb eines an der Küste errichteten Walls befand. Das Tor hatte zuvor weit offen gestanden, vielleicht schaffte sie es unbemerkt ins Freie.
Sie gab dem Drang nach, einfach loszurennen, anstatt – wie es ohne Zweifel klüger gewesen wäre – den nächsten Schritt zu bedenken: Sollte sie ein Pferd stehlen oder zu Fuß fliehen?
Sie musste diese Entscheidung ohnehin nicht fällen. Zwar gelangte sie mühelos bis zum Tor, doch dort fiel ein Schatten auf sie – groß und breit. Hasculf.
Auch diesmal ahnte sie, was klüger gewesen wäre – nämlich zu lächeln, so zu tun, als hätte sie ihn gesucht, zu erklären, wie froh sie war, nun die Wahrheit zu kennen, erfreut auch, dass er ihr Verwandter war, ihr künftiger Mann.
Doch jene Wahrheit, die sie eben noch zu ertragen geglaubt hatte, drohte sie plötzlich zu ersticken und zu erdrücken zugleich. Panik überkam sie – und jene Panik machte sie blind und dumm. Anstatt zu lächeln und bedächtig nach den richtigen Worten zu ringen, begann sie zu schreien und auf Hasculfs Brust einzuschlagen.
»Ich will das nicht! Ich will das alles nicht! Ich bin nicht die Erbin der Bretagne! Ich werde dich nie heiraten!«
Es war ein Fehler, so zu wüten, aber es tat trotzdem gut. Die Anspannung der letzten Wochen entlud sich, die Todesangst, die Verwirrung ob des Treffens mit einer fremden Mutter und deren Offenbarungen. Endlich konnte sie alldem etwas entgegensetzen, wenn auch nur Geschrei, wüst und wirr, aber laut genug, Bestürzung und Entsetzen zu übertönen.
Als sie sich endlich wieder fasste, stand Hasculf immer noch steif vor
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