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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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und warum?
    Mathilda öffnete die Augen wieder, sah Reiter auf sie zukommen, und von einem der Pferde sprang eine Frau. Ihre Bewegungen waren steif, ihr Gesicht war von Falten zerfurcht.
    Mathilda starrte sie an und merkte gar nicht, dass Hasculf zu ihr zurückgeeilt kam und ihr hastig die Fesseln löste. Erstmals wäre sie frei gewesen, um aufzustehen. Sie hätte sich die schmerzenden Handgelenke reiben können. Doch sie blieb wie erstarrt auf dem sandigen Boden hocken. Die Frau kam näher, blieb nur wenige Schritte vor ihr stehen – die Frau, die schon viele Jahre zuvor Hasculf geschickt hatte, um nach ihr zu suchen und sie herzubringen. Sie zu töten hatte sie Hasculf wohl nicht befohlen, sonst wäre sie nicht mehr am Leben. Doch das tröstete Mathilda wenig, deutete sie es doch als Beweis, dass diese Frau es selbst tun oder zumindest mit eigenen Augen bezeugen wollte.
    Mathilda senkte den Blick, hob dann aber doch wieder den Kopf. Sie hatte nichts anderes mehr als ihren Stolz, den sie der Frau entgegenhalten konnte.
    Die schien davon wenig bewegt. Die Augen, die sich in sie bohrten, wirkten wie dunkle Löcher. So oft hatte Mathilda der Hauch des Todes gestreift. Nie war er so kalt gewesen.

 
    Sie hatte oft von ihr geträumt, aber irgendwann war sie des Nachts zu erschöpft gewesen, um noch zu träumen. Sie hatte oft versucht, sie sich vorzustellen, aber irgendwann hatte sie erkannt, dass das, was man vom Leben erhielt, nie dem glich, was man sich im Herzen ausmalte. Sie hatte sich nach ihr gesehnt, aber zugleich hatte sie gewusst: Auch wenn sie sie eines Tages wieder in die Arme schließen würde – sie würde nicht das zurückbekommen, was sie verloren hatte.
    Verloren hatte sie ein kleines Kind mit blonden Locken, die dem Haar seines Vaters glichen, einem unschuldigen Blick, der keinen Argwohn kannte, einem hohen Stimmchen, das lieber sang als sprach. Nun stand eine dunkelhaarige erwachsene Frau vor ihr – voller Misstrauen und Entsetzen, die Stimme gar nicht erst zu hören, weil sie verstockt schwieg.
    So blieb Hawisa wenigstens Zeit, sie ausführlich zu mustern – mit Erleichterung, mit Freude und auch mit ein wenig Befremden. Als Kind hatte Mathilda dem Vater geglichen, und letztlich war es seine Liebe zur gemeinsamen Tochter gewesen, die ihre eigene Liebe zu ihm hatte wachsen lassen. Doch die Züge dieser Frau erinnerten sie an einen ganz anderen, an den sie seit Jahren kaum mehr gedacht hatte.
    »Ich habe nicht erwartet, dass du ausgerechnet … ihm ähnlich siehst«, setzte sie unwillkürlich an. »Ich dachte, du kämest nach deinem Vater. Stattdessen bist du deinem Großvater wie aus dem Gesicht geschnitten.«
    Mathilda kämpfte eine Weile nach Worten. Als sie sie endlich hervorbrachte, klang ihre Stimme heiser. »Wer ist mein Großvater?«, fragte sie. »Und wer ist mein Vater?«
    »Was weißt du über die Geschichte der Bretagne?«, fragte Hawisa zurück.
    »Dass Nordmänner sie heimgesucht und zerstört haben wie einst auch den Norden des Frankenreichs.«
    Sie senkte ihren Kopf. Nicht länger von den großen Augen gebannt ließ Hawisa ihren Blick über Mathildas Körper schweifen – mager war dieser, gezeichnet von den Strapazen des langen Ritts, voller Schmutz und Wunden. An den Hand- und Fußgelenken kündeten rote Flecken von Fesseln.
    Hasculf ist ein Tier, sie so zu behandeln, ging Hawisa durch den Kopf. Ihn dafür bestrafen würde sie dennoch nicht. Schließlich war Mathilda selbst schuld, wenn sie sich wehrte und ihm keine andere Wahl ließ. Sie würde sie wieder und wieder ansehen müssen, bis ihr das Gesicht vertraut war – ihr Wesen glaubte sie schon jetzt zu kennen: Sie war störrisch, eine, die aufbegehrte, die das Leben nicht einfach so hinnahm.
    Im Grunde gefiel Hawisa das. Sie entschied, Geduld zu haben, und erklärte langsam, mit der gleichen verständnisvollen Stimme, wie sie ihr einst als Kind Geschichten erzählte: »Die Bretonen sind ein stolzes Volk. Vor vielen Hundert Jahren sind sie über das Meer gekommen – auf der Flucht vor den Schotten und den Angelsachsen. Zunächst haben sie sich an der Küste niedergelassen, dann sind sie ins Landesinnere vorgestoßen. Ihre Bräuche und Sitten glichen denen der Römer, aber tief in ihrem Herzen glaubten sie an andere Götter. Und die Bretonen sind nicht nur ein stolzes, sondern ein unbeugsames und mutiges Volk. Aus der einstigen Heimat mussten sie fliehen – aber ihre neue ließen sie sich nicht so schnell nehmen. Den

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