Kinder des Feuers
Karolingern ist es nie gelungen, sich ihr Land einzuverleiben. Dazu bedurfte es mächtigerer Männer.«
»Besagter Nordmänner«, stieß Mathilda aus.
»Was zeigst du dich entsetzt, als wären sie Feinde? Das Land konnte ihnen trotzen, solange seine Herrscher stark waren – stark wie Alanus der Große. Nach seinem Tod folgte jedoch keiner, der ihm das Wasser reichen konnte. Was hat ein Land, das keinen starken Führer hervorzubringen weiß, anderes verdient, als Beute zu werden?«
Mathilda hob ihren Blick wieder. »Und was hat das alles mit mir zu tun?«
Hawisa zögerte. Kurz überkam sie das Gefühl, dass es auch nicht mit ihr selbst zu tun hatte – nichts zu tun haben durfte. Sie hatte nicht oft daran gedacht, wer sie gewesen war, ehe jener stolze Nordmann in ihr Leben trat, die Burg überfiel, in der sie sich verschanzt hatte, dort eine Blutspur zog und die Frauen nicht verschonte, vor allem sie nicht. Es gab nicht nur eine Bretagne vor und nach ihm – ihr eigenes Leben war von ihm in zwei Teile gehackt und ihr rasch klar geworden, dass sie keinen Atemzug im neuen machen könnte, ohne zu ersticken, wenn sie am alten festhing. Sie hatte eine andere werden müssen. Genauso wie Mathilda nun eine andere werden musste. Sie hatte ihn lieben lernen müssen. Genauso wie Mathilda nun sie lieben lernen musste.
Doch das begriff diese noch nicht. »Warum willst du mich töten?«, fragte sie, nachdem Hawisa ihr keine Antwort gegeben hatte.
»Wie kommst du auf die Idee, dass ich dich töten will?«
»Es waren doch deine Männer, die damals das Kloster überfallen haben … Und du warst es doch auch, die Maura geschickt hat.«
»Das war nicht ich.«
»Wer war es dann? Ich kann mich doch daran erinnern … jemand hat mich als Kind vor einer bösen Frau gewarnt. Ich dachte, das wärst … du.«
»Ich war vielmehr diejenige, die dich vor dieser bösen Frau in Sicherheit gebracht hat.«
»Warum?«, rief Mathilda, nicht einfach nur verwirrt, sondern verzweifelt. »Wer bist du?«
Die Antwort fiel Hawisa schwerer als erwartet. Ich bin eine Frau, die mit ihrer Herkunft gebrochen hat. Eine Frau, die sich bedingungslos dem neuen starken Mann der Bretagne unterworfen hat. Eine Frau, die den Stolz und die Herrschsucht ihrer Vorfahren mit dem Trachten des Geliebten vereinte, in der Bretagne ein geeintes, starkes Reich zu errichten. Nicht das Reich der Bretonen, denn dieses hatte sich zu oft als schwach erwiesen. Sondern ein Reich der Nordmänner.
All das sagte sie nicht. Sie sagte nur: »Ich bin Hawisa, deine Mutter. Und dein Vater, der Mann, den ich liebte, war ein mächtiger Nordmann namens Rögnvaldr.«
VIII.
Sie waren noch ein Stück die Küste entlanggeritten, bis sie einen kreisrunden Wall erreichten.
Die Frau, die Hawisa hieß und ihre Mutter war, hatte kein Wort mehr gesagt, und nachdem sie im Hof des Walls vom Pferd gestiegen war, hatte sie sich sofort abgewandt. Mathilda wusste nicht recht warum. Vielleicht, um ihre eigenen Gefühle nicht zu zeigen, vielleicht, um der Tochter Zeit zu geben, sich der ihren klar zu werden.
Sonderlich viel Zeit war es nicht, mit dem Ungeheuerlichen fertig zu werden. Wenig später begann Hawisa zu reden – mit gleichgültiger, monotoner Stimme, als hätte all das, was sie zu sagen hatte, nicht wirklich mit ihnen zu tun. Mathilda versuchte jedes der Worte aufzusaugen, auch wenn sie vorerst keinen Sinn ergaben.
»Nach dem Tod von Alanus dem Großen schien die Glanzzeit der Bretagne ein für alle Mal vorüber. Zu viele stritten sich um den Thron, kein Einziger war stark genug, ihn auch zu halten, und jene Kämpfe, die das Land im Inneren zerrissen, lockten Feinde von außen. Die steten Kriege zermürbten das Volk. Wer genug Geld hatte, ging ins Exil, und wer sich dort ein Leben aufbauen konnte, kehrte nicht wieder zurück.«
Mathilda nickte, obwohl Hawisa immer noch abgewandt stand und es nicht sehen konnte. Dies waren die ersten Worte, mit denen sie etwas anfangen konnte, ließen sie sie doch an Sprota denken, deren Eltern einst auch aus der bretonischen Heimat geflohen waren. Doch was hatte das mit ihr zu tun? Was damit, dass Hawisa offenbar nicht die böse Frau war, die ihren Tod wollte – vielmehr die, die sie damals zu ihrer eigenen Sicherheit ins Kloster geschickt hatte und die sie jetzt zu sich zurückholte?
Plötzlich fiel es ihr wieder ein, dass sie als Kind sehnlich auf diesen Tag gewartet hatte, zumindest in der ersten Zeit, da sie unter Drohungen und Schlägen noch
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